Polittheater & Chats: Braucht der ORF eine ITALIENISCHE Lösung?

Neue Chats haben nun den ORF einmal mehr ins Zentrum der politischen Debatte gerückt. Es geht um politischen Einfluss, den Austausch von Politikern und Medieneliten und die übermäßig rot-grüne Gesinnung vieler Journalisten im ORF, der sich deshalb über die Jahrzehnte den Spitznahmen „Rotfunk“ vielleicht nicht nur wegen seines Logos redlich verdient hat. Im O-Ton klang ein Austausch von ORF2-Chefredakteur Matthias Schrom und Ex-FPÖ Chef HC Strache zu den politischen Zuständen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Österreichs so:

In Hinblick auf ORF2 schrieb Schrom an Strache, es sei „schon bei uns genug zu tun und jeden Tag mühsam, aber langsam wird’s, und die, die glauben, die SPÖ retten zu müssen, werden weniger.“

https://orf.at/stories/3292513/

Der ORF-Spitzenmann Schrom war also selbst genervt darüber, wie stark viele ORF- Journalistenkollegen das Programm Richtung „Rettung der SPÖ“ hin orientierten. Mit dem Regierungswechsel zur schwarz-blauen Regierung ab 2017 wurde der ORF deshalb wohl nicht nur aus Zufall plötzlich besonders kritisch. Einen roten Kanzler kritisch zu behandeln fällt vielleicht schwerer, wenn ein SPÖ-Mann Generaldirektor ist (Wrabetz), oder wenn der Top-Anchor (Tarek Leitner) mit dem Ex-Bundeskanzler Kern (SPÖ) zusammen in den Urlaub fährt, bevor er ihn im Sommergespräch dann interviewen darf, oder wenn der Chefredakteur des ORF-Fernsehens aus der Arbeiterzeitung kommt und natürlich SPÖ-Parteimitglied war (Dittlbacher).

Der ORF scheint also einen großen Bedarf an politischer Diversität zu haben. Mehr Journalisten mit unterschiedlichen politischen Backgrounds wären sehr angebracht. Wie könnte eine solche Reform des ORF nun aussehen? Wir vom März werfen dafür einen Blick in unser südliches Nachbarland Italien.

Die politischen „Missstände“ im ORF

In letzter Zeit häufen sich die Leaks von ORF-Journalisten, die das politische Klima auf dem Küniglberg kritisch reflektieren. So trat Innenpolitik-Chef Hans Bürger auf einem Medienforum etwa mit den folgenden sehr ORF-kritischen Worten an die Öffentlichkeit.

„Was ist die Unabhängigkeit? Wir (ORF-Journalisten) sind laut Gesetz zur Objektivität verpflichtet. Ja (lacht), das ist schon einmal. Das ist eigentlich unser Grundsatz.

Aber mir kommt es schon vor, dass einige (ORF-Journalistinnen oder -Journalisten) es nicht ganz schaffen, ihre wahre Gesinnung zu verbergen.

ORF-Innenpolitik Chef Hans Bürger, Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000139111653/orf-politikchef-buerger-sagt-servus-tv-fans-er-schaue-auch

Die objektiven ORF-Kollegen lassen also ihre Kollegen nicht gerade im Unklaren darüber, wie sie politisch ticken. Österreichweit kann man das auf Twitter nachlesen, wo so mancher ORF-Journalist ungeschminkt über ÖVP und FPÖ herzieht und sich so politisch ziemlich eindeutig positioniert. Aber offenbar gibt es da auf dem Küniglberg auch zwischen den einzelnen Redaktionen noch Steigerungsstufen, wie der damalige ZIB-2 Chef Schrom gegenüber FPÖ-Chef Strache freimütig einräumte:

ORF 1 (das noch viel linker ist) gehört ja Lisa Totzauer (und Wolfgang Geier).

ORF 2-Chef Schrom, Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000140546590/orf-chefredakteur-schrom-an-fpoe-chef-strache-ueber-orf-2

Aufmerksam wird der gelernte ORF-Zuseher bei vielen Debatten, etwa bei „Im Zentrum“ , wo oft eine klare politische Schlagseite deutlich wird. Meistens sind dort die Stimmen rechts der Mitte eher die Ausnahme. Dafür gibt es stets viele Kritiker, die mit Positionen links der Mitte dagegen halten. In der Coronakrise war das nicht anders. Der ORF fiel in gewohnte Muster, worüber Hans Bürger folgendermaßen reflektierte:

„Ich habe dann irgendwann selbst in Vertretung der Ingrid Thurnher (damals ORF-3-Chefredakteurin, heute Radiodirektorin) ein – wie heißt die Sendung – ‚Politik Live‘ auf ORF 3 moderiert. Dann haben sie mir sechs Befürworter reingesetzt. Sechs, die bezüglich Corona-Maßnahmen alle einer Meinung waren. Dann habe ich gesagt: Und wie genau soll daraus eine Diskussion entstehen?“

Zur Antwort habe er bekommen: „Das ist wurscht, das ist halt so.“

Und dann haben sie mir den (FPÖ-Chef Herbert) Kickl eingespielt, der böse Kickl. Und dann sind alle sechs über den Kickl hergefallen. Was machst jetzt als Moderator?

ORF-Innenpolitik Chef Hans Bürger, Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000139111653/orf-politikchef-buerger-sagt-servus-tv-fans-er-schaue-auch

Man versammelte also tatsächlich 6 Befürworter einer Maßnahme und ließ dann alle auf Kickl verbal hinschlagen. Debattenkultur a la ORF. Auch die politischen Experten für Parteien rechts der Mitte wirken in der Regel aus der Zeit gefallen. Ein Franz Fischler oder eine Maria Rauch-Kallat sind seit Jahrzehnten aus der Politik ausgeschieden und Proponenten einer anderen Zeit.

Quelle: http://mhw.at/journalistenreport/

Das intellektuelle politische Dilemma des ORF

Aufgrund völlig verfehlter Personalpolitik, einseitiger Journalistenausbildung und einer jahrzehntelangen Gruppendynamik sind die Journalisten am Küniglberg heute also alles andere als politisch divers aufgestellt. Das hat unter anderem historische Gründe, weil im österreichischen Proporz die ÖVP einst auf das Radio und die SPÖ schlauerweise auf das Fernsehen gesetzt hatte. Die konservativen Herren der ÖVP in den 1950er Jahren (der ORF wurde am 1. August 1955 gegründet) unterschätzten im Zuge dieser Aufteilung dabei aber völlig die künftige Entwicklung der Medienlandschaft. Sie überließen deshalb der SPÖ den ORF maßgeblich im Austausch für die damals dominanteren Bundesländerradios. (siehe https://www.dermaerz.at/orf-ein-rotfunk-in-aktion-2/). Seitdem sind die ideologischen Pflöcke der SPÖ im ORF besser verankert als jene der ÖVP.

Es gibt somit einen jahrzehnte alten ausgeprägten mitte-links Drall im ORF, der etwa darin gipfelte, dass bei den letzten Betriebsratswahlen keine (!) einzige bürgerliche Liste mehr antrat, mangels Erfolgschancen wohlgemerkt, was einem in einem hoch politischen Unternehmen voller politisch gebildeter Menschen zu denken geben sollte. Politische Diversität ist also nur marginal gegeben im Staatsfernsehen. Im ORF ist die Situation in der Folge für die wenigen politisch andersdenkenden Führungskräfte somit ebenso schwierig. Sich dauerhaft gegen die Mehrheit in den Redaktionen zu stellen ist für die eigene Karriere wohl wenig förderlich. Deshalb versuchen politische Parteien regelmäßig Einflussnahmen von außen mit Interventionen oder von innen über den Stiftungsrat. Der ORF soll dabei auf eine bürgerliche Linie gebracht oder eben auf SPÖ-Linie gehalten werden. Das war zumindest die Intention in den letzten Jahrzehnten.

Der direkt ausgeübte politische Einfluss kollidiert dabei immer öfter mit dem Corps-Geist des ORF und dem journalistischen Selbstverständnis, was beides natürlich völlig legitim und wichtig für ein Nachrichtenunternehmen ist. Schließlich sollen Journalisten ja frei arbeiten können. Die Resilienz des ORF ist stets gestärkt worden von unzähligen linken Journalisten, die um ihre berufliche Zukunft fürchten müssten, sofern mehr politische Diversität eines Tages eingefordert werden würde. Andererseits prolongieren all diese Faktoren den politisch unhaltbaren und nur wenig diversen Status-Quo. Dieser ist für immer mehr bürgerliche Seher untragbar und unterhöhlt auch das Neutralitätsgebot des ORF.

Auch ein Austausch der Personen an der Spitze hat daran weder in der Vergangenheit, noch in der Gegenwart etwas bewirkt. Ein Roland Weißmann als Generaldirektor ändert ja nichts an der politischen Einstellung „seiner“ Informationsredakteure.

Das „Lottizzazione“-System

Italien stand einst vor dem gleichen Dilemma wie der ORF: Es gab viele unterschiedliche politische Überzeugungen zu denselben Themen. Die bürgerliche Democrazia Cristiana (DC) unterschied sich thematisch in ihren politischen Vorstellungen massiv von der sozialdemokratischen Partito Socialista Italiano (PSI), ganz zu schweigen von jenen Ideen der kommunistischen Partito Comunista Italiano (PCI). Die Rundfunkanstalt RAI wurde staatlich kontrolliert und war bis 1975 ein Instrument der jeweiligen Regierung.

Im Jahr 1975 legte dann eine staatliche Rundfunkreform die Kontrolle der RAI-Sender in die Hände einer Parlamentskommission. Also tüfftelten die Parteien an einer Ausrichtung des Rundfunks entlang politischer Ideologien und Überzeugungen. Resultat war schließlich, dass ab dem Moment die beiden dominierenden Parteien, DC und PSI, praktisch die Kontrolle über Strukturen und Inhalte jeweils eines dieser Sender übernahmen. Mit der Gründung von RAI Tre, der seit 1987 vom PCI administriert worden war, war die so genannte Lottizzazione perfekt: der konservative DC kontrollierte RAI uno, die Sozialisten RAI due und die kommunistische Partei RAI tre.

Auf den ersten Blick klingt das erst einmal eher furchtbar, weil Parteien natürlich direkt stärkeren Einfluss auf die Berichterstattung nehmen können. Es gibt dazu aber auch andere Sichtweisen! Laut Paolo Mancini befördert diese informelle Übereinkunft der Parteien einen politischen Medienpluralismus! Das italienische Mediensystem garantiert im Zeichen der sich dynamisierenden Medialisierung, dass alle wesentlichen Parteien und ihre gesellschaftlichen Partner (z. B. Gewerkschaften) gesicherten Zugang zur Agenda der staatlichen Medien haben. Die Lottizzazione ist also – ganz vergleichbar dem österreichischen Proporz – eine informelle Institution der horizontalen informellen Regulierung, bei welcher im Zeichen der partitocrazia die politischen Parteien den Staat beherrschen und den staatlichen Rundfunk unter sich aufteilen.

Der gelernte Österreicher kennt das alles nur zu gut, nur dass hierzulande eben eine ahnungslose ÖVP in den 1950ern einst auf ihren politischen Zugriff auf die Radios (!) bestanden und dafür allen Ernstes der SPÖ im Austausch den ORF überlassen hatte. Das Ungleichgewicht wurde jedoch – und hier liegt die Differenz zu Italien- bis heute nicht behoben.

Italienische Verhältnisse im ORF

Wie würde es nun aussehen, das italienische Lottizzazione System (ohne Kontrolle durch Parteien, die im 21. Jahrhundert längst nicht zu rechtfertigen ist) organisatorisch auf den ORF zu übertragen? Nun ja der ORF unterhält ja bereits mehrere Kanäle mit unterschiedlichen News-Teams, womit hier relativ leicht die Möglichkeit bestünde, die Informations-Sparte ideologisch auf zwei Kanäle aufzuteilen. Das bedeutete natürlich nicht, hier en-masse neue Journalisten einzustellen, sondern beide News-Teams könnten dann aus dem Pool der vorhandenen Information der vielen Redakteure schöpfen und ihre Nachrichten aus diesem Material dann aufbereiten.

Vermeintlich linke Journalisten wie Dittlbacher und Co. mit ihrem Arbeiterzeitungs/Standard/SPÖ-Background würden dann etwa auf ORF 1 ihr Programm nun in aller Offenheit durchziehen können. Inhalte wie linke Weltverbesserung, „Rettet-die-SPÖ-Initiativen „, „Kurz-ist-böse“ garniert mit „Refugees-Welcome“ wären Schwerpunkte. Sowie jetzt auch, würde man dort dann wenig Kritisches über die SPÖ-Wien hören, dafür aber sehr viel zu Kritisierendes über FPÖ und ÖVP. Rotgrüne Politiker könnten in Diskussionen wie bisher einhellig auf ein paar wenige politisch rechte Gegner einhauen, FPÖ und ÖVP ganz furchtbar finden und dafür noch breiten Raum bekommen.

Parallel dazu würde auf ORF 2 ein bürgerliches News-Team die andere Seite der politischen Medaille präsentieren. Die enormen Kosten der österreichischen Asylpolitik und die demographischen Folgen etwa sowie andere Themen, welche die rund 55%+ bürgerlichen Wähler Österreichs wirklich interessieren und bewegen. Servus TV macht dies seit Jahren erfolgreich vor, egal ob das nun Wirtschaftspolitik, eine Debatte zur Identitätspolitik oder eine Universum-Dokumentation zu unserer schönen Heimat ist, oder – gottlob – eine ganz böse Ski-Übertragung gewürzt mit etwas Pariasek-Witz und rot-weiß-rotem Patriotismus. Fazit: Es würde hier ein öffentlich-rechtliches Gegenangebot zu Servus TV entstehen und zwar für eine bürgerliche Seherschaft, die sich nicht rot-grün belehren lassen möchte.

Die Bürger hätten in der Folge – wie bei Tageszeitungen auch – ein politisch diverses öffentlich-rechtliches Angebot beim ORF zur Verfügung anstelle eines Rotfunks, dessen ideologische Schlagseite seit Jahren viele Leute zur privaten Konkurrenz vertreibt.

Fazit

Nachdem es von außen in der Vergangenheit sehr schwierig war, das rot-grüne politische Biotop im ORF aufzubrechen ohne ganz böse Schlagzeilen a la „Eingriff in die redaktionelle Freiheit“ zu produzieren, braucht es eine strukturelle Reform des ORF. Die Politik sollte ja auch wirklich den Redakteuren nicht vorschreiben, was sie zu senden haben.

Wenn im öffentlich-rechtlichen ORF aber fast nur mehr rot-grüne Journalisten sitzen, die (bei der letzten Nationalratswahl) lediglich maximal 35% der Staatsbürger vertreten und zum Teil sogar links von diesen stehen, dann läuft etwas gehörig falsch. Es besteht Änderungsbedarf, vor allem weil ja alle Österreicher mit allen politischen Gesinnungen gemeinsam für den ORF aufkommen müssen. Es mag den Leuten am Küniglberg oft nicht gefallen, aber es gibt politisch gesehen ein Österreich außerhalb des Wiener Gürtels, wo man nicht ehrerbietig dem Wiener Bürgermeister lauscht und wo man, ganz im Gegenteil zur Wiener Blase, Schwarz-Blau immer noch ziemlich gut findet (etwa in Oberösterreich – siehe Regierungskoalition).

In Italien wird diese ideologische Diskrepanz durch das informelle System der Lottizzazione gelöst. Damit sorgt (bei aller Kritik) das staatliche Fernsehen RAI für eine breite politische Pluralität innerhalb seiner Sendergruppe. Das ist ein wunderbares Äquivalent zu unserem Zeitungsmarkt, wo Presse- und Standardleser ja auch zwei unterschiedliche Zeitungen mit passender ideologischer Ausrichtung haben. Sorgt man jedoch nicht für diese Diversität, dann werden die Leute ohnehin ihren Weg selbst wählen. Noch mehr bürgerliche Seher werden vom ORF zu Servus TV oder zu einem anderen Sender wechseln, wo sie nicht mit einseitiger Berichterstattung konfrontiert sind, die von einer „neutralen“ Informationsredaktion dann als Mainstream-Nachrichten verkauft werden.

Der gegenwärtige Zustand ist jedenfalls wenig attraktiv. Alle Bürger finanzieren den ORF, der zwar pseudounabhängig von den Parteien ist, die Nachrichten aber zu oft mit klarer ideologischer politischer Schlagseite präsentiert. Im Theater des ORF sind die Rollen dabei stets zu klar verteilt: Rechts = böse und Links = gut. Mit dieser Pauschalisierung geht der Verlust der politischen Objektivität und Neutralität ganz eindeutig immer stärker einher.

Links & Quellen

https://orf.at/stories/3292513/

https://www.derstandard.at/story/2000139111653/orf-politikchef-buerger-sagt-servus-tv-fans-er-schaue-auch

https://www.derstandard.at/story/2000140546590/orf-chefredakteur-schrom-an-fpoe-chef-strache-ueber-orf-2

https://studlib.de/10432/politik/informelle_institutionen_lottizzazione-system

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