Kärnten & 10.Oktober: Hintergründe zur Volksabstimmung

Feierlichkeiten zum 10.Oktober 2016 im Landhaushof in Klagenfurt

Am 10.10.2022 jährt sich der 102. Jahrestag der Kärntner Volksabstimmung , ein Festtag der Demokratie und Selbstbestimmung, der an eine der wenigen demokratischen Abstimmungen nach dem 1. Weltkrieg erinnert, als Europa nach nationalen Grenzen neu geordnet wurde. Vielfach wurde dabei das politische Schicksal der Bevölkerungen von den Siegermächten der Entente entschieden ohne diese auch anzuhören. In Kärnten war das anders!

Wir möchten daher in diesem Artikel ein paar historische Hintergründe zur Kärntner Volksabstimmung beleuchten und damit Einblick in die Geschichte Kärntens gewähren, die erklären soll, warum der Süden Österreichs heute ist wie er ist !

Die Abstimmung: Ein historisches Privileg

Eine relativ faire Abstimmung über die Gebietszugehörigkeit war im Zuge der Diktatfriedensverträge nach dem 1. Weltkrieg eher die Ausnahme als die Regel. So wurde nur in folgenden deutschsprachigen Gebieten 1919/1920 fair abgestimmt: In Schleswig, Oberschlesien, Ostpreußen und eben in Kärnten ! Eine „unfaire“ Abstimmung war jene über die Zugehörigkeit Ödenburgs zum Burgenland oder zu Ungarn. Die fast ausschließlich deutschsprachigen Bewohner Südtirols, Elsass-Lothringens, Eupen und Malmedys, Danzigs, Marburgs in der Südsteiermark und die drei Millionen österreichischen Deutschböhmen (aka Sudetendeutsche) fragte dagegen niemand. Diese hätten nämlich allesamt für Deutschland bzw. Deutschösterreich votiert (ausgenommen wahrscheinlich das sehr frankophone Lothringen), was den Siegermächten wohl politisch ein Dorn im Auge war. Schließlich wären die Kriegsverlierer Deutschland und Österreich territorial stärker daraus hervorgegegangen.

Ein ähnliches Schicksal traf übrigens die ungarischen Bevölkerungsmehrheiten in der Südslowakei und in Teilen Rumäniens und Jugoslawiens sowie die Slowenen und Kroaten in Istrien, das an die Siegermacht Italien fiel. Dabei galt ursprünglich US-Präsident Wilsons 14-Punkte-Programm auf Basis dessen die Mittelmächte 1918 ja kapituliert hatten:

Punkt 10: Den Völkern Österreich- Ungarns, deren Platz unter den Nationen wir geschützt und gesichert zu sehen wünschen, sollte die freieste Gelegenheit zu autonomer Entwicklung zugestanden werden.

14-Punkte-Programm von US-Präsident Woodrow Wilson (08.01.1918)

Ganz tragisch übrigens ist parallel dazu das Schicksal der kleinasiatischen Griechen zwischen 1914 und 1923, denn diese wurden zu Hunderttausenden von den türkischen Nationalisten umgebracht und dann nach über 3000 Jahren Hochkultur endgültig aus Kleinasien vertrieben. Diese Massaker kommen zusätzlich zu den rund 1,5 Millionen getöten Armeniern des armenischen Genozids, der bis heute von der türkischen Regierung geleugnet wird. Die Vertreibung der Griechen ist deshalb wohl auch eines der größten Versagen der siegreichen Entente nach dem Krieg, denn Engländer und Franzosen hatten wohl ausreichende militärische Mittel, um die Vertreibungen und Morde zumindest ab dem Jahr 1918 in Kleinasien zu stoppen!

Festung Hochosterwitz: Steinernes Zeugnis der Kärntner Geschichte

Die Vorgeschichte des Nationalitätenkonflikts im 19. Jahrhundert

Anders als heute von manchen Historikern gerne verkürzt dargestellt, entzweite zunächst ab 1848 nicht der deutschsprachige, sondern der slowenisch/ slawische Nationalismus das zweisprachige Kärnten! Stand 1849 waren nämlich die slowenisch sprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie auf 4 Provinzen aufgeteilt: Steiermark, Krain, Österreichisches Küstenland und eben Kärnten ! Im Zeitalter des aufziehenden Nationalismus wurde dies für slowenische Nationalisten dann ein brennendes Thema und war der Grund warum slowenische politische Aktivisten 1848 im deutschsprachigen Klagenfurt (!) den Zusammenschluss dieser vier Provinzen zu einem „Vereinten Slowenien“ einforderten. Die Slowenen strebten also nach Unabhängigkeit und wollten dafür Teile oder manche sogar ganz Kärnten für ihr slawisches Königreich vereinnehmen. Diese nationalen Forderungen der Slowenen mitten im mehrheitlich deutschsprachigen Kärnten lösten dann einen deutschen Nationalismus gepaart mit einer Urangst vor der Teilung des Landes aus, der teilweise unterbewusst bis heute anhält.

Ein „Stein des Anstoßes“: Der Kärntner Fürstenstein als slowenische 2 Cent Münze; Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/d/d6/Slovenien_2_Cent.gif

Dieser politisch historische Anspruch auf Kärnten wird zumindest kulturell und historisch auch heute noch von Slowenien auf ziemlich kuriose Art hochgehalten! So ziert die slowenische 2-Cent-Euro-Münze allen Ernstes der Fürstenstein, das älteste Rechtsdenkmal Kärntens. Das Land Kärnten nutzt den Fürstenstein natürlich aber auch selbst als historisches wie politisches Symbol und stellt ihn im Kärntner Landhaus als historisches Denkmal aus.

Der Legende nach wurden im Mittelalter die Herzöge Kärntens (aka „Karantaniens“) auf diesem Stein in ihr Amt eingesetzt. Auf welche Zeit diese „legendäre“ Praxis zurückgeht, ist allerdings ungeklärt. Historiker sind sich heute nämlich ziemlich uneins, ob dieses römische Symbol, von welchem der Name Karantanien herrührt, überhaupt als Denkmal für die slawische Geschichte Kärntens herhalten kann und ob jemals ein nicht-deutschsprachiger Kärntner Herzog auf diesem Stein vereidigt wurde. Karantanien war nämlich nur relativ kurz von 600 bis 743 n.Chr. ein slawisch regiertes Fürstentum. Ab 743 stand das Land dann unter bayerischer Oberhoheit, mutierte somit zum heutigen Kärnten, und wurde sukzessive von Bayern aus besiedelt. Die ansässige römisch-keltische Urbevölkerung, die in den 150 Jahren zuvor von slawischen Stämmen slawisiert worden war, wurde in diesem Prozess germanisiert. Wie man sieht, überlagerten sich hier also drei Kulturen.

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Der Kärntner Fürstenstein in Klagenfurt; Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/92/Klagenfurt_Landhaus_Gro%C3%9Fer_Wappensaal_F%C3%BCrstenstein_19072006_6295.jpg

Kärnten vor der Volksabstimmung (1848-1918)

Kärnten war im 19. Jahrhundert infolge dieses Erbes ein gemischtsprachiges Land. Im Jahr 1910 verfügte Kärnten über einen deutschen Bevölkerungsanteil von 78,61 Prozent und einen slowenischsprachigen Anteil von rund 20 Prozent. Der slowenische Anteil verringerte sich dabei durch Assimilation ab etwa dem Jahr 1880 kontinuierlich. Grund war die Industrialisierung wie auch die Urbanisierung und die Dominanz des deutschsprachigen Schulwesens. Zogen Kärntner Slowenen aufgrund ihres Berufs nach Klagenfurt oder Völkermarkt assimilierten sie sich in der Regel in eine deutschsprachige Umgebung. Zwischen 1848 und 1880 betrug das Zahlenverhältnis von Deutschkärntnern zu Kärntner Slowenen deshalb vermutlich sogar noch um die 70% : 30%, wobei viele Kärntner damals zweisprachig waren und sich nicht immer einer „Nation“ zu 100 Prozent zuordneten. Die nationalen Grenzen in Kärnten lagen dabei ungefähr am Fluss Drau. Aufgrund des Mangels an slowenischen bürgerlichen Schichten stellten allerdings auch die Klassengrenzen nationale Grenzen dar.

Südlich der Sprachgrenze bestand der Großteil der Bevölkerung aus slowenischen Bauern und Landarbeitern, während das dortige lokale städtische Bürgertum, die Kapitalbesitzer, der Adel, die Verwaltungsbeamten und die freiberufliche Intelligenz in Städten wie Bleiburg und Völkermarkt weitgehend deutschsprachig war. So war es übrigens auch in Slowenien, wo noch Mitte des 19. Jahrhunderts alle Städte deutsche Bevölkerungsmehrheiten hatten. Laibach wurde etwa erst um 1900 herum endgültig „slowenisiert“ und die deutschen Straßennamen von slowenischen Nationalisten mit einem Schlag getilgt. Sozialer Aufstieg und Migration in die deutschsprachigen Kärntner Städte war daher in der Regel mit Germanisierung verbunden und schuf ein großes zweisprachiges Gebiet in Südkärnten.

Die Kärntner Slowenen hatten damals natürlich gewisse Autonomierechte, wie alle Völker der k.u.k. Monarchie. Über das Ausmaß dieser Rechte wurde 1848 bis 1920 freilich in der Kärntner Innenpolitik stets heftig diskutiert! Deutschnationale sperrten sich gegen slowenische Forderungen nach mehr Mitsprache und anderen administrativen Verwaltungsgrenzen. Aus welchem Grund? Man fürchtete die „slawische Landnahme“ infolge zuvieler Zugeständnisse. Wie in den 1000 Jahren zuvor funktionierte aber das Zusammenleben bis zum Ersten Weltkrieg ziemlich reibungslos. Im ersten Weltkrieg stemmten sich dann Slowenen wie Deutschkärntner gemeinsam gegen die italienischen Gebietsansprüche. Diese umfassten damals deutschsprachige wie slowenischsprachige Gebiete und wurden dementsprechend von allen Völkern in der Habsburgermonarchie gemeinsam abgelehnt.

Die slowenischen überzogenen Forderungen 1918

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zerfall der Monarchie, verschwand dann aber auch die gegenseitige Solidarität der österreichischen Nationalitäten aus der Kriegszeit. Nun versuchte jede der neuen Nationalitäten, soviel Land für ihren Nationalstaat einzusammeln wie irgend möglich. Im Oktober 1918 forderte der slowenische Nationalrat in Laibach gleich das ganze Gebiet des k.u.k. Herzogtums Kärnten für Jugoslawien ein! Slowenien war aber nicht die Entente-Siegermacht Italien, weshalb die Siegermächte zumindest den Jugoslawen solcherlei unbegründete Forderungen nicht durchgehen ließen. Später reduzierte Jugoslawien dann unter alliiertem Druck seine Gebietsforderungen auf etwa ein Drittel der Landesfläche, in der allerdings noch immer etwa die Hälfte der Kärntner Bevölkerung wohnte.

Slowenische Besatzungssoldaten in Kärnten, Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/f/f6/Maister%27s_fighters_in_carinthia.pdf/page1-1200px-Maister%27s_fighters_in_carinthia.pdf.jpg

Der Abwehrkampf Phase I

Nachdem der Kärntner Landesausschuss noch im Herbst 1918 Kärnten für unteilbar erklärt hatte, war man plötzlich am 5. November 1918 im Süden Kärntens mit einer Invasion von jugoslawischer Polizei konfrontiert. Der neu formierte SHS-Staat versuchte in Kärnten (wie der Steiermark) schnell territoriale Fakten zu schaffen. Die Kärntner Landesregierung musste ihn mangels Alternativen zunächst gewähren lassen. Erst am 3. November hatte Österreich-Ungarn kapituliert und hunderttausende deutschösterreichische Soldaten irrten gerade durch Mitteleuropa.

Die Invasion verlief dann in zwei Etappen: Nachdem der Süden Kärntens ab dem 5. November okkupiert war, überschritten am 26. November 1918 slowenische Truppen die (nach dem 5. November vereinbarte) Demarkationslinie und rückten in nördlichere, rein deutschsprachige Gebiete wie St.Paul im Lavanttal, Völkermarkt et cetera vor. Aus diesem Grund beschloss die provisorische Kärntner Landesregierung am 5.Dezember 1918 unter dem deutschfreiheitlichen Landesverweser Arthur Lemisch den militärischen Widerstand. Der Kärntner Abwehrkampf begann! Mit der Organisation dieses miitärischen Widerstands gegen Gebietsansprüche stach Kärnten 1918 aus allen deutschsprachigen Gebieten hervor.

Dabei fielen 3 Politiker besonders auf: Oberstleutnant Ludwig Hülgerth (Landesbefehlshaber), Oberleutnant Hans Steinacher (Truppenführer) und Landesverweser Lemisch (Regierungschef), allesamt Vertreter des Dritten Lagers – heute würde man sie der FPÖ zuordnen. Sie stehen für die traditionelle, tiefe Verwurzelung des Dritten Lagers in Kärnten. Lemisch und Hülgerth waren später auch Landeshauptmänner Kärntens.

Militärisch begann der Abwehrkampf am 14. Dezember 1918 mit der Abwehr eines jugoslawischen Angriffs auf die Landeshauptstadt Klagenfurt. Dann ging es Schlag auf Schlag: Bis zum 8. Januar wurde der Großteil Kärntens von kärntnerischen Truppen zurückerobert. Ein slowenischer Großangriff wurde am 3. Januar an der Drau abgewehrt und am 14. Jänner wurde ein erster Waffenstillstand geschlossen.

Das Wichtigste folgte darauf: Die Kämpfe hatten alliierte Aufmerksamkeit erregt und so wurde eine alliierte Kommission nach Kärnten und in die Südsteiermark entsandt. Angeführt wurde sie von einem amerikanischen Offizier mit dem Namen Sherman Miles: Die Miles-Mission! Diese Kommission studierte vor Ort die strittigen Gebietsfragen und sprach mit den Bewohnern. Das war insofern bedeutend, als im österreichischen Friedensvertrag von St.Germain von den Entente-Mächten eine Volksabstimmung verankert wurde! Kärnten hatte sich also – anders als die Südsteiermark oder Südtirol – eine Chance auf Einigkeit militärisch erkämpft.

Der Abwehrkampf Phase II und III

Die Jugoslawen brachen dann am 29. April 1919 erneut den Waffenstillstand und starteten Phase II des Abwehrkampfes mit einen Großangriff auf Klagenfurt und Villach. Kärntner Verbände wurde dabei zunächst zurückgedrängt, sammelten sich aber am 5. Mai zum Gegenangriff und warfen die Aggressoren in der Folge bis ins heutige Slowenien zurück. Kärntner Truppen überschritten die Landesgrenze und eroberten etwa Windischgraz (Slovenj Gradec) in der Südsteiermark für Österreich zurück. Einen weiteren Vorstoß nach Marburg, wo slowenische Truppen unter der mehrheitlich deutschsprachigen Bevölkerung gerade ein Massaker angerichtet hatten (Marburger Blutsonntag), untersagte aber die Bundesregierung in Wien, denn dort fürchtete man in St.Germain noch härtere Friedensbedingungen für Deutschösterreich. Am 9. Mai 1919 zogen sich die Kärntner Verbände deshalb an die Landesgrenze zurück.

Nachdem in St. Germain die Volksabstimmung beschlossen worden war, versuchten die Jugoslawen erneut militärisch Fakten zu schaffen. SHS-Truppen überschritten am 28. Mai 1919 ein drittes Mal die Kärntner Grenze. Diesmal waren sie von Belgrad soweit verstärkt worden, dass das Kräfteverhältnis nun 5:1 zu Ungunsten der Kärntner Verbände betrug. Kärntner Einheiten leisteten gegen diese Übermacht zwar hinhaltenden Widerstand, konnten aber den Fall Klagenfurts am 6. Juni 1919 nicht verhindern.

Nun intervenierten die Alliierten: Der Oberste Rat der Alliierten in Paris zwang Jugoslawien zum Abzug aus Klagenfurt. Italienische Soldaten marschierten ein und überwachten den Waffenstillstand, wobei jugoslawische Truppen die zukünftigen Abstimmungsgebiete der Zone A (Südkärnten) unter ihrer Kontrolle behielten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Kärnten nach 4 Jahren Weltkrieg bereits rund ein halbes Jahr immer wieder gegen die SHS-Invasoren gekämpft, wobei es auf Kärntner Seite rund 270 Tote und 800 Verwundete zu beklagen gab.

Die Volksabstimmung am 10. Oktober 1920

Die Vorbereitung zur Volksabstimmung, festgelegt im Friedensvertrag von St.Germain (10.September 1919), begann dann mit mehreren Handicaps für Kärnten ! Erstens war ganz Südkärnten jugoslawisch besetzt und war militärisch für fast ein Jahr streng abgeriegelt. Zweitens gaben zwei Drittel der Bewohner vor dem Krieg slowenisch als Umgangssprache an. Weder statistisch noch politisch stand es deshalb 1919 vermeintlich gut für ein ungeteiltes Kärnten. Das war wohl mit ein Grund, warum die jugoslawische Verwaltung das Volk ohne Manipulationen abstimmen ließ.

Wenn man jedoch heute aus der Retrospektive genauer hinsieht, dann waren die Chancen für ein ungeteiltes Kärnten doch intakt: Auch slowenisch sprechende Kärntner waren beim Abwehrkampf aktiv und die einmarschierenden jugoslawischen Truppen hatten sich in Südkärnten äußerst unsympathisch gegenüber den lokalen Kärntnern verhalten und sich damit vor der Abstimmung unbeliebt gemacht. Zudem war der Süden Kärntens mit Klagenfurt und Villach wirtschaftlich eng verbunden.

Historische Karte zur Volksabstimmung: Die Abstimmungszonen A und B mit den 3 Bedingungen für das Stimmrecht; Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/21/Abstimmungsgebietekaernten.jpg

Bei der Abstimmung galt, wie am historischen Bild zu sehen, folgendes Prozedere: Abgestimmt wurde zuerst in der mehrheitlich slowenischsprachigen Zone I. (A). Sollte diese Abstimmung positiv für Jugoslawien ausfallen, hätte auch die österreichisch besetzte Zone II. (B) um Klagenfurt abstimmen sollen. Das Mießtal und die Gemeinde Seeland (hier abgetrennte Gebiete) fielen dagegen unabhängig von der Abstimmung an Slowenien. Vor der Volksabstimmung organisierten dann beide Seiten Propagandamaterial, wobei pro-österreichische Propaganda massiv von den jugoslawischen Ordnungskräften unterbunden wurde. Diese wurde bei Nacht und Nebel unter anderem von Kindern in das abgeriegelte Gebiet geschmuggelt.

Das Ergebnis war schließlich für alle Seiten unerwartet klar und eindeutig: 59 Prozent stimmten für den Verbleib bei Österreich! Das bedeutet, dass rund jeder zweite slowenischsprachige Südkärntner damals für Österreich und die Einheit Kärntens gestimmt hatte. Frauen waren hier erstmals stimmberechtigt.

Grafik zur Kärntner Volksabstimmung 1920
Ergebnis der Kärntner Volksabstimmung; Quelle: https://kaernten.orf.at/stories/3037213/

Für die Kärntner Geschichte nach der Volksabstimmung gibt es übrigens eine gute ORF-Doku (2010) in mehreren Teilen:

Menschen und Mächte Spezial Kampf um Kärnten, ORF-Doku; Quelle: ORF

Die Behandlung der slowenischen Volksgruppe heute

Mit dem Ortstafelkompromiss 2011 von Landeshauptmann Gerhard Dörfler (FPK/FPÖ), Minister Josef Ostermayer (SPÖ) und Valentin Inzko (Slowenenverbände) ist dann auch in der Frage topographischer Beschriftungen ein für alle Seiten tragbarer Kompromiss gefunden worden. Dieser beendete den Ortstafelstreit und sorgte für die Aufstellung von zweisprachigen Ortstafeln in 164 Orten in 24 Gemeinden. In einer Volksbefragung stimmten zwischen 6. und 17. Juni kärntenweit 68 Prozent der Teilnehmer für diese Lösung. Im Juli 2011 wurde diese Lösung dann im Volksgruppengesetz in Verfassungsrang von National- und Bundesrat beschlossen.

Zweisprachiger Unterricht erfreut sich heute (Stand 2022) wachsender Beliebtheit in Südkärnten: 58 Volksschulen und 17 Neue Mittelschulen unterrichten heute zweisprachig. Dazu gibt es das slowenische Gymnasium in Klagenfurt, slowenische Musikschulen, eine zweisprachige Handelsakademie sowie eine Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe in St.Peter bei St.Jakob/Rosental.

Nichtsdestotrotz sind die Kärntner Slowenen heute aber natürlich eine kleine Minderheit von ein paar tausend Personen geworden. Breite Assimilierung in die Kärntner Mehrheitsgesellschaft bzw. in die österreichische Gesellschaft hat dafür gesorgt, dass vielfach nur mehr slowenische Familiennamen, Traditionen und lokale Bräuche erhalten geblieben sind.

Marburg an der Drau (Maribor): 1918 noch zu 80% deutschsprachig, heute jedoch ist das deutschsprachige Erbe nach Krieg und Vertreibung nur mehr Geschichte

Vice versa: Die Behandlung der deutschsprachigen Österreicher in Slowenien

Stand 2022 ist trotz jahrelanger österreichischer politischer Bemühungen die deutschsprachige Minderheit in Slowenien immer noch nicht als solche anerkannt ! Erst 2020 wurde Außenminister Schallenberg vom Parlament einstimmig beauftragt, das Thema in Slowenien erneut anzuschneiden. Das blieb jedoch wieder einmal ohne jeden Erfolg. Die deutschsprachige Volksgruppe in Slowenien kämpft nun seit vielen Jahrzehnten (!) vergeblich um die offizielle Anerkennung durch die Republik Slowenien. Anders als die ungarische und italienische Volksgruppe oder eben die slowenische Volksgruppe in Österreich ist die jahrhundertealte deutschsprachige Volksgruppe in Slowenien nicht als autochthone Volksgruppe anerkannt und verfügt daher über keinerlei kollektive Rechte.

In Slowenien leben nach massivem Auswanderungs- und Assimilierungsdruck im 20. Jahrhundert heute schätzungsweise nur mehr rund 2.000 Angehörige der deutschsprachigen Volksgruppe. Vor 100 Jahren waren es noch um die 100.000 gewesen. Die meisten von Ihnen wurden nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg vertrieben oder zur Emigration gezwungen. Slowenien ist leider heute europaweit eines der Schlusslichter bei der Frage von Rechten für Minderheiten – ein Faktum, das leider in der österreichischen Berichterstattung oft gerne ignoriert wird, herrschte dort doch eine, für das 21.Jahrhundert nicht gerade vorbildhafte, ziemlich minderheitenfeindliche Einstellung vor,

Fazit

Heute kann man wohl sagen, dass Kärnten bei der Behandlung seiner Minderheit ein Vorbild in Europa ist. Die Minderheit verfügt über ein ausgebautes Minderheitenschulwesen, Millionen an Kulturförderungen und eine eigene slowenischsprachige katholische Kirchenstruktur. Sogar der ORF-Kärnten sendet heute Minderheitenbeiträge in slowenischer Sprache. In Kärnten passierte also trotz dreier Kriege im 20. Jahrhundert zum Glück weder ein Genozid wie am Balkan, noch gab es großflächige Vertreibungen der ansässigen Bevölkerung, wie das zum Beispiel in Tschechien oder Slowenien der Fall war. Freilich aber motivierte das slowenenfeindliche Klima um die Jahre der NS-Diktatur herum viele Kärntner Slowenen sich sprachlich zu assimilieren! Dies spiegelt sich in vielen eingedeutschten slawischen Familiennamen der Kärntner heute klar wider.

Nationaler Austausch durch erzwungene Migration fand nach 1919 nur im kleinen Rahmen statt. Einige Slowenen wanderten nach der verlorenen Abstimmung 1919 freiwillig oder unfreiwillig (Beamte, Lehrer aus der Minderheit wurden auf beiden Seiten der Grenze entlassen) nach Slowenien aus! Im Gegenzug dazu kamen dafür vertriebene Deutschösterreicher aus Slowenien nach Kärnten. Eine größere Migrationswelle folgte 1945, als über 90% der deutschsprachigen Minderheit ihre Heimat in Slowenien verlor. Deshalb gibt es heute noch zahlreiche Kärntner, die Nachkommen von Vertriebenen aus Slowenien sind. Mit der Lösung des Ortstafelkonfliktes 2011 und der verblassenden Vertreibungserfahrung sollte aber einer friedlichen Entwicklung nichts im Wege stehen, vorausgesetzt auch Slowenien verzichtet in der Zukunft auf nationalistische Reflexe und Gebietsansprüche.

Dass heute österreichische Historiker gerne die Kärntner Slowenen pauschal als reine Opfernation und die Deutschkärntner als reine Täternation darstellen, ist dabei wohl das Ergebnis dieser historischen Entwicklung. Siehe dazu https://www.dermaerz.at/geschichte-als-spin-am-beispiel-der-kaerntner-volksabstimmung/ Schließlich gewannen die einen, während sich die anderen assimilierten. Außerdem dominiert heute die Erzählung der Gräuel der Nationalsozialisten 1938-1945, als im Grenzgebiet ein brutaler Partisanenkrieg herrschte und Kärntner Slowenen deportiert wurden.

Diese verkürzte Darstellung wird aber natürlich der Geschichte Kärntens nicht gerecht, denn es war der aggressive slawische Nationalismus ab 1848, der einst den Stein des Anstoßes für Konflikt, Nationalitätenstreit und Zwist in Kärnten gab. Die „Kärntner-Urangst“ wurde ausgelöst, als slowenische Nationalisten 1848 die Eingliederung Kärntens in Jugoslawien forderten und damit das politische Klima im Land so nachhaltig vergifteten, dass noch in unserer Zeit ein Jörg Haider damit Landtagswahlen gewinnen konnte!

Quellen und weitere Links

https://kaernten.orf.at/v2/news/stories/2517090/

https://www.stern.de/politik/ausland/neuordnung-wilsons-14-punkte-plan-3870642.html

https://kaernten.orf.at/stories/3037213/

PERCHINIG, Bernhard (1989): „Wir sind Kärntner und damit hat sich´s …“ Deutschnationalismus und politische Kultur in Kärnten. Klagenfurt: Drava Verlag

https://www.meinbezirk.at/kaernten/c-politik/dritter-bericht-zur-lage-der-slowenischen-volksgruppe_a4102260

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200701_OTS0002/aussenpolitischer-ausschuss-deutschsprachige-minderheit-in-slowenien-soll-offiziell-anerkannt-werden

https://www.diepresse.com/5539687/slowenien-bekraftigt-nein-zu-anerkennung-deutschsprachiger-minderheit

https://tv.orf.at/unseroesterreich/kaernten118.html

https://volksgruppen.orf.at/slovenci/meldungen/stories/3172989/

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