Kärnten: ein politischer Sonderfall in Österreich?

Kärnten wirft bei den Beobachtern in Österreich immer wieder gerne Fragen auf. Man spricht oft vom politischen Sonderfall! Wir werfen daher einen Blick auf Entwicklungen, die das südlichste Bundesland Österreichs heute charakterisierten. Welche Einflussfaktoren stecken etwa historisch in der Entwicklung Kärntens? Wie kam es zum Ortstafelkonflikt, der Kärntner Volksabstimmung, zum Abwehrkampf und dem historisch starken Deutschnationalismus? Politikern wie Jörg Haider, Karl-Heinz Grasser und Co. sollte dieser in ganz Österreich zu politischer Prominenz verhelfen ! Warum können darüberhinaus rechte Politiker in Kärnten so gut reüssieren? Ein Blick in die ältere wie jüngere Kärntner Geschichte wird uns nun dabei helfen darauf eine Antwort zu geben!

Wir beginnen mit einem Blick auf die Entstehungsgeschichte Kärntens und starten unsere eingehende Betrachtung dann mit den politischen Ereignissen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, die für Kärnten bis heute prägend sind.

Die Vorgeschichte

Kärnten ist auf dem heutigen Gebiet Österreichs das Gebiet mit der längsten staatlichen Tradition, denn schon im Jahr 976 wurde es unabhängig vom Herzogtum Bayern, das bis damals einen Großteil des heutigen österreichischen Staatsgebietes umfasst hatte.

Zurecht muss man auch sagen, da Österreich von Bayern aus kolonalisiert worden und mit seiner heutigen Kultur als Teil der deutschen Ostkolonisation entstanden ist. Es galt, ein vielfach menschenarmes Gebiet in den Alpen nach der Völkerwanderung wieder zu besiedeln, das von einem Mix aus kulturell keltoromanisch-germanisch-slawischen Menschen bewohnt wurde. Tirol, Oberösterreich, Salzburg und Vorarlberg werden übrigens zum alten deutschen Volksgebiet gezählt, welches um 700 n.Chr.existiert hat. „Kolonialisiert“ wurde also der Osten und Süden Österreichs, darunter auch Kärnten. Das Land wurde also 976 unabhängig, zu einem Zeitpunkt, wo es den Namen Österreich noch gar nicht gab. Dessen erste schriftliche Nennung tauchte dann erst 20 Jahre später auf im Jahr 996 in einer Schenkungsurkunde Kaiser Ottos III., der von einer Region „gewöhnlich Ostarrichi genannt“ sprach.

Kärntens staatliche Traditiongeht allerdings sogar noch viel weiter zurück als zum Jahr 976, denn für rund 100 Jahre waren seine keltoromanisch-germanischen Bewohner (ein Mix aus der Antike bis hin zur Völkerwanderungszeit) im 7. Jahrhundert ein Teil des slawischen Fürstentums Karantanien. Die germanisch-römischen politischen Überbleibsel wurden von dem vorstoßenden Stamm der Karantanen, auch Alpen-Slawen genannt, unterjocht. Die vor allem wohl keltisch-römische Bevölkerung adaptierte sich dann mit der Zeit kulturell an den slawischen Stämmen und nahm die Sprache der neuen Herren an. Diese konnten sich politisch aber nicht lange halten , weil sie ein Grund ihrer Westsiedlung einholte: Awarische Reiter griffen nun auch Kärnten an ! Dagegen konnten sich die Karantanen nicht alleine erwehren und riefen die Bajuwaren, also die Bayern, zur militärischen Hilfe ins Land. Damit begann seit dem 8. Jahrhundert die bayerische Landnahme.

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Kärntner Fürstenstein – das älteste Rechtsdenkmal des Landes; Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%BCrstenstein_(K%C3%A4rnten)#/media/Datei:Klagenfurt_Landhaus_Gro%C3%9Fer_Wappensaal_F%C3%BCrstenstein_19072006_6295.jpg

Kärnten – das bayerische Herzogtum am Schnittpunkt dreier Kulturen

Nach den Soldaten im Kampf gegen die Awaren kamen also im 8. Jahrhundert nach einem rund hundertjährigen slawischen Intermezzo die bayerischen Siedler. Kärnten wurde ab dann politisch wie kulturell germanisiert. Interessanterweise slawisierten die karantanischen Eliten aber noch bis 800n.Chr. (unter bayerischer Oberhoheit) weiter die keltoromanische Bevölkerung vor allem im Süden. Dies ist heute der Grund für die kulturelle Zweiteilung des Landes (und weshalb es keine Dreiteilung mit den Kelto-Romanen gab). Kärnten war damals nicht dicht besiedelt, weshalb die Bayern zunächst die freien, unwirtlicheren Flächen in Oberkärnten und in den engen Tälern erschlossen. Der agrarisch wertvollste und am leichtesten bewirtschaftete Raum im Süden und im Zentrum des Landes kam später dran. Im agrarisch schön bebaubaren und wohl schon damals am dichtesten besiedelten Süden gibt es wohl auch deshalb bis heute noch slowenische Wurzeln in der Bevölkerung, eben weil dieses Gebiet als allerletztes von der deutschsprachigen kulturellen Kolonisation erfasst wurde!

Anders als in den meisten anderen heutigen Bundesländern hat Kärnten also seit jeher historisch bedingt das Bewusstsein an umkämpften Grenzen zu liegen, nämlich am Schnittpunkt der slawischen, italienischen und deutschsprachigen Kulturräume. Im 19. Jahrhundert sprach man dann von der „Grenzlandmentalität„, etwas das man so früher auch im Herzogtum Steiermark vorfand. Dieses wurde ja wie Kärnten bis 1918 in der heute abgetrennten Südsteiermark von einem Drittel Slowenen bewohnt. Die Steiermark ist übrigens eine politische Erfindung der Kärntner Herzöge, die ihrerseits das Gebiet als Grenzmark für Kärnten unter dem Titel Karantanermark/Kärntnermark/marchia Carantana einrichteten. Daraus resultiert der heutige Name. Ab dem 10. Jahrhundert begannen sich auch hier deutschsprachige Siedler anzusiedeln, seitdem die Ungarngefahr (die Nachfolger der Awaren) mit der Schlacht am Lechfeld 955 einigermaßen gebannt war. Im 12. Jahrhundert entstand dann aus der Kärntner Mark das spätere Landesfürstentum Steiermark.

Kärnten: vom Mittelalter bis zur Neuzeit

Kärnten stellte mit Arnulf von Kärnten dann einen der letzten Könige des ostfränkischen Reiches, wie auch für kurze Zeit den letzten karolingischer Kaiser. Dieser ging vor allem in die Geschichte ein, weil er faktisch auf das westfränkische Reich (das heutige Frankreich) verzichtete und damit die deutsche Staatswerdung einläutete, die schließlich im Heiligen Römischen Reich gipfeln sollte. Das Staatsgebiet des Herzogtums Kärnten erreichte seinen Höhepunkt um das Jahr 1000 nach Christus, als es den ganzen Alpen-Adria Raum mit Venetien, Slowenien, Istrien und auch der Steiermark einnahm. Auf der Karte sieht man schön die damalige politische Zweiteilung des heutigen Österreichs zwischen Bayern und Kärnten.

Das Herzogtum Kärnten um das Jahr 1000; Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/95/Bajovaria_1000AD.png

Im Mittelalter wurden also Kärnten, die Steiermark und Slowenien von deutschsprachigen Adeligen regiert, Städte mit deutschem Stadtrecht gegründet und von spezialisierten Bürgern aus dem süddeutschen Raum besiedelt. Diese germanisierten dann in einem langsamem Prozess ihr Umfeld in Kombination mit den deutschsprachigen Siedlern. Das Herzogtum Kärnten war keine Domäne der Babenberger, kam dann aber nach dem Tod des letzten Spanheimers kurz zum böhmischen König Ottokar II. Přemysl, der ja sein Glück und Ende durch Rudolf von Habsburg in der Schlacht bei Dürnkrut 1278 fand. Kärnten geriet also wie das übrige Österreich gleichzeitig in habsburgische Hände. Nach 10 Jahren erster Einheit mit dem übrigen Österreich unter Rudolf, war das Land dann wieder unabhängig unter den Meinhardinern bis es 1335 endgültig an das Haus Österreich fiel.

In der Periode bis zur Neuzeit prägten vor allem die Türkenkriege und eine gnadenlose Gegenreformation das Land. Kärnten hatte viele Geheimprotestanten und hält heute noch den größten protestantischen Bevölkerungsanteil in Österreich. Die religiöse Unterdrückung durch Rom und Wien ab dem 16. Jahrhundert nach der Reformation hat das Land mental und historisch geprägt. Mit dem rebellischen Protestanismus und einem historischen Landesbewusstsein wurden Wurzeln geschaffen, die das Land bis heute prägen.

Das Erwachen des slowenischen Nationalismus und die Kärntner Urangst

Der moderne Nationalismus ist in- Frankreich mit der französischen Revolution entstanden, als die mittelalterliche Adelsnation geköpft und ein bürgerlicher Sprachnationalismus als neue Identifikationsfigur geschaffen wurde. Napoleon war es übrigens auch, der Kärnten in zwei Teile teilte und Oberkärnten zu seinen illyrischen Provinzen (1809-1815) annektierte. Politisches Zentrum war die damals mehrheitlich deutschsprachige Stadt Laibach. Das ganze war eine 6 bis 8-jährige Periode, löste aber den Illyrismus aus, der eine erste Form der südslawischen Einheitsbewegung war und ein vereintes pansüdslawisches Gebiet einforderte. Gleichzeitig hatte Napoleon durch seine Kriege den deutschsprachigen Nationalismus in all seinen romantischen Facetten des 19. Jahrhunderts erweckt, der schließlich mit vielen Liedern und patriotischen Erzählungen in den Freiheitskriegen und später in der 1848er Revolution mit der Wahl der deutschen Nationalversammlung seinen Höhepunkt finden sollte.

Das Jahr 1848 war ein Jahr des nationalen freiheitlichen Aufbruchs, als erste freie Wahlen im ganz deutschen Bund stattfanden und von Kärnten bis Holstein, von Luxemburg bis Preußen deutschsprachige Abgeordnete gewählt und nach Frankfurt entsandt wurden. Slowenische Nationalisten proklamierten in diesem nationalen Freudentaumel im fast ausschließlich deutschsprachigen Klagenfurt (!) einen slowenisch-nationalen Gegenentwurf. Slowenien war nämlich in seiner heutigen Form mit Triest Teil des Deutschen Bundes und entsandte eigene Abgeordnete nach Frankfurt. Der Kärntner Kaplan Matija Majar Ziljski vom akademischen Verein „Slovenija“ forderte 1848 die Vereinigung aller Slowenen in einer autonomen Verwaltungseinheit. Kärnten sollte entweder ganz zu Großslowenien kommen oder in zwei nationale Kreise getrennt werden. Hier eine beispielhafte Karte des slowenischen Nationalisten Peter Kozler:

Auf den gemeinsamen deutschsprachigen Aufbruch weg vom „katholischen Wien“ 1848 kam auf das deutschsprachige Bürgertum plötzlich eine von Priestern und katholischen Aktivisten getragene slowenische Nationalbewegung, die Kärnten vom neuen deutschen Staatsgebiet abtrennen wollte. Das löste in Klagenfurt (wie auch in Graz) Wut und eine nationalistische Gegenreaktion aus. Kärnten wurde von der Urangst der Landesteilung erfasst!

Politische Implikationen bis heute

So wie der blinde Katholizismus in Kärnten schon seit der Gegenreformation von den Deutschsprachigen abgelehnt wurde, so stemmte man sich auch gegen den slowenischen Nationalismus, der vor allem von katholischen Priestern lange Zeit getragen wurde. Diese beschworen die Treue zum Kaiserhaus und verlangten gleichzeitig eine Landesteilung . Beides kam im wirtschaftlich von den Habsburgern fast immer vernachlässigten Kärnten sehr schlecht an. Darauf reagierte das deutsche Bürgertum, indem es sich nach 1848 größtenteils im Lager des rechten Liberalismus sammelte. Die Saat des nationalen Zwistes war nun ausgebracht. Der Kärntner Deutschnationalismus und die Angst um die kostbare Landeseinheit war geboren. Kärnten ging daher politisch nicht den obrigkeitshörigen katholischen Weg der Salzburger, Österreicher und Tiroler, sondern stand, genau wie die Sudetendeutschen, relativ früh in einem politisch-verbal ausgetragenen Kampf mit dem slawischen Nationalismus.

Bürgertum und Landesregierung reagierten ab den 1860er Jahren mit zunehmender Intoleranz auf slowenisch-nationale Forderungskataloge und betonten die deutsche zivilisatorische Überlegenheit und die Landeseinheit. Auch in der Schulpolitik wandelte sich eine einst vormalige jahrhundertelange (!) Toleranz der Zweisprachigkeit in Germanisierungsversuche. Während die Slowenen mangels eigenen Bürgertums die Kirche als integrative Institution nutzten, forcierten Bürgertum, Großbauern und weltliche Intelligenz den deutschen antiklerikalen Nationalismus. Bei den Reichsratswahlen 1897 gelang es den Deutschnationalen Kärntens, wie nirgendwo sonst in Deutschösterreich, eine breite, alle Stände und Klassen umfassende Bewegung zu werden, die in allen Kurien Abgeordnete im Reichsrat platzieren konnte. Im Laufe der Jahrzehnte nach 1848 entwickelte sich die zuerst defensive Argumentation der Unteilbarkeit Kärntens hin zu einer offensiven Betonung des Landes als deutscher Vorposten auf dem Weg zur österreichischen Adriaküste. Auch die wachsende Sozialdemokratie verschloss sich der antiklerikalen, antimonarchistischen und deutschnationalen Stimmung in Kärnten nicht:

Lieber den deutschen Liberalen als den slowenischen Klerikalen

Spruch von Kärntner Sozialdemokraten zu Monarchiezeiten

Das Verhältnis der Nationalitäten

Im Jahr 1910 verfügte Kärnten über einen deutschen Bevölkerungsanteil von 78,61 Prozent. Der slowenische Anteil verringerte sich durch Assimilation ab 1880 kontinuierlich. Zwischen 1848 und 1880 betrug das Zahlenverhältnis noch 70:30. Die nationalen Grenzen in Kärnten lagen ungefähr am Fluss Drau, wobei aufgrund des Mangels an slowenischen bürgerlichen Schichten auch die Klassengrenzen nationale Grenzen darstellten. Südlich der Sprachgrenze bestand der Großteil der Bevölkerung aus slowenischen Bauern und Landarbeitern, während das dortige lokale städtische Bürgertum, die Kapitalbesitzer, der Adel, die Verwaltungsbeamten und die freiberufliche Intelligenz weitgehend deutschsprachig waren. Sozialer Aufstieg und Migration in die deutschsprachigen Städte war daher in der Regel mit Germanisierung verbunden und schuf ein großes, zweisprachiges Gebiet in Südkärnten. Im Kronprinzenwerk aus dem Jahre 1891, der großen landeskundlichen Enzyklopädie der Monarchie, hieß es zu diesem Verhältnis:

…Der größte Theil der slavischen Bevölkerung ist der deutschen Sprache vollständig oder theilweise mächtig… Windische und Deutsche vertragen sich ganz gut mit- und untereinander

Das Kronprinzenwerk: Die österreichisch-ungarische Monarchie (1891): S.98

Auf persönlicher Ebene wurde der Nationalitätenstreit also nicht so hart ausgetragen. Vielmehr war es so, dass sich mit dem sozialen Aufstieg die Kinder slowenischer Bauern freiwillig „germanisierten“ und ein gemeinsames Kärntner Landesbewusstsein über allem stand. Das wurde bei der Kärntner Volksabstimmung deutlich, als im gemischtsprachigen Gebiet fast jeder zweite Slowenischsprachige für den Verbleib Südkärntens bei Österreich stimmte und sich so gegen die südslawische Einheit aussprach. Für mehr Details zur Volksabstimmung und ihren Folgen im 20.Jahrhundert siehe: https://www.dermaerz.at/10-oktober-hintergruende-zur-abstimmung-in-kaernten-1920/

Die politische Kultur Kärntens bis zum Der Ortstafelstreit (1945-1972)

Die Ereignisse des 20. Jahrhunderts (Abwehrkampf, viermalige slowenische militärische Invasion Kärntens, Partisanenkrieg, NS-Besetzung Sloweniens, kommunistische Partisanenmorde in Kärnten und NS- Verschleppungen von Kärntner Slowenen) haben im Land , ebenso wie auch die Ereignisse des 19. Jahrhunderts ihre politischen Spuren hinterlassen. Anders als in den meisten anderen Bundesländern profitierte 1945 die SPÖ von ihrer traditionellen Rolle als Verbündete des dominierenden deutschnationalen Lagers. Ihr gelang es, die Stimmen der verbotenen deutschnationalen Parteien besser auf sich zu vereinen und die Macht in Klagenfurt zu erringen. Dieser rote Machtrausch sollte 44 Jahre bis 1989 anhalten, als Haider zum Landeshauptmann gewählt wurde. Die Kärntner Sozialdemokratie war daher traditionell immer rechter als ihre Pendants auf Bundesebene oder in anderen Bundesländern. Die VdU als Vertreterin des dritten Lagers (später FPÖ) vermochte sich aber bereits 1949 mit 21 Prozent wieder politisch etwas zurückzumelden.

Die SPÖ-Herrschaft war autoritär und um das mehrheitlich deutschnationale Kärnten ruhig zu stellen, von nationalistischen Maßnahmen begleitet. Die 1955 im Staatsvertrag den Alliierten versprochenen zweisprachigen Ortstafeln wurden nie aufgestellt. Im Landtag galt lange Zeit eine 10 Prozent-Sperrklausel für politische Parteien, die eine politische Vertretung der Slowenen im Landtag verhindern sollte. Langzeit-SPÖ-Landeshauptmann Ferdinand Wedenig (1947-1965) kam wegen NS-Vorwürfen gegen seinen Vorgänger Hans Piesch ins Amt und setzte seinerseits umstrittene Zeichen, indem er per Erlass Slowenisch als Pflichtfach in den zweisprachigen Gebieten abschaffen ließ.

Sein Nachfolger Hans Sima (1965-1974) war selbst teils slowenisch-deutscher Herkunft und wollte in Zusammenarbeit mit Bundeskanzler Kreisky erstmals auf die Slowenen zugehen. Er tat dies aber so ungeschickt, dass er den Kärntner Ortstafelsturm im Herbst 1972 auslöste, als er in einer seit 1970 immer national aufgeheizteren Stimmung zweisprachige Ortstafeln ohne Dialog aufstellen ließ. Ab 1970 hatten kärntnerslowenische wie deutschnationale Aktivisten sich durch Beschmierungen und Proteste gegenseitig provoziert. Die Mehrheit im Lande wurde politisch von einer lauten Minderheit alarmiert. Das Thema zweisprächige Ortstafeln war geboren.

Der Ortstafelsturm 1972 und seine Folgen

Partisanendenkmäler und Kärntner Abwehrkämpferdenkmäler wurden beschädigt und beschmiert. Sogar der jugoslawische Geheimdienst mischte sich mit Aktionen ein um Kärnten zu destabilisieren. Belgrad übte Druck auf Wien aus. 1971 legte die Regierung Kreisky dann eine Liste von 205 Ortschaften in 36 Gemeinden vor, die (aufgrund einer Schätzung eines Mindestanteils von 20 Prozent Slowenen) mit zweisprachigen Aufschriften zu versehen waren. Im Frühjahr 1972 wurden die Absichten immer klarer und die Kärntner Medien und Bevölkerung sprachen sich gegen Landeshauptmann Sima und Kreisky aus. Medien und deutschnationale Aktivisten schürten die alten Ängste vor der Landesteilung und slowenische Aktivisten provozierten, um ihre Rechte zu bekommen. Nichts Neues in Kärnten also.

Zwischen dem 20. September und dem 25. Oktober eskalierte die Lage, als die Behörden mehrmals versuchten, zweisprachige Ortstafeln aufzustellen. Diese wurden aber immer beschmiert, demontiert und wieder entfernt. Der Kärntner Ortstafelsturm entfaltete sich. Es kam zu wütenden Protesten in Klagenfurt und Aktivisten marschierten vor Landeshauptmann Simas Wohnung auf. Polizei schritt teilweise nicht ein und im zweisprachigen St. Kanzian wurden die „Ortstafelstürmer“ direkt vom SPÖ-Bürgermeister angeführt. Mit Jahresende 1972 wurde die Exekution des Gesetzes ganz aufgegeben – was bis dato ein Novum war. Noch nie hatte die Republik ein Gesetz aufgrund von massivem öffentlichen Druck, von Protesten und Ausschreitungen nicht vollziehen können. Die Kärntner SPÖ löste das Problem auf ihre Art politisch: 1974 musste Sima gehen und der betont deutschnational auftretende Leopold Wagner wurde neuer Landeshauptmann (1974-1988). Wagner bekannte sich stolz zu seiner Vergangenheit als Zitat „hochgradiges Mitglied“ der Hitlerjugend und erzielte 1979 mit 53,6 Prozent das beste SPÖ-Ergebnis aller Zeiten.

Der Kärntner ist zuerst national und dann erst sozialistisch

Landeshauptmann Leopold Wagner (SPÖ)

Von Wagner habe er politisch viel gelernt – bekannte Jörg Haider später, weil dieser 1988 bei einem Attentat aber schwer verletzt wurde, kam es dann zu keiner direkten politischen Konfrontation mit Jungspund Haider mehr.

Die politische Kultur Kärntens – das Phänomen Jörg Haider (1976-2008)

In Kärnten werkte Haider als FPÖ-Parteisekretär schon seit 1976, wo er das Potential der Landesgruppe im deutschnationalen Kärnten erkannte. Lag die FPÖ bei nur 12 Prozent (1979), wuchs sie unter seiner Führung schnell wieder auf alte Stärken mit 16 Prozent (1984) und schließlich 29 Prozent (1989). Haider hatte also politisch die Vor-Ständestaat Situation in Kärnten wieder restauriert. Insgesamt drei Mal gelang Haider die Wahl zum Landeshauptmann – vier Mal vielleicht, wenn man die posthume Haider-Gedächtnis Landtagswahl 2009 (historische 45 Prozent fürs BZÖ; 3,8 Prozent FPÖ) dazuzählte. Hätte er dem NS-Regime 1991 keine „ordentliche Beschäftigungspolitik“ zugeordnet, wäre er wohl auch zwischen 1991 und 1999 Landeshauptmann gewesen. Er musste infolgedessen nämlich zurücktreten und die ÖVP regierte als drittstärkste Kraft dann 8 Jahre das Land mit.

Haider trat also politisch das deutschnationale Erbe des dritten Lagers an, das schon in der Monarchie und bis 1934 die Landeshauptmänner gestellt hatte. Er setzte die sozial-nationale Politik eines Leopold Wagner fort, garniert mit einem Modernismus und einer zelebrierten Volksnähe. Wichtigstes Thema aber: Privilegienabbau und Ende des Klientelismus der SPÖ, der ganz Kärnten in Geiselhaft des roten Parteibuches hielt. Von der Teilzeitputzfrau in der Gemeinde bis zum Lehreramt war hier noch bis 1989 das SPÖ- „Parteibüchl“ frech eingeforderte Pflicht.

Dazu kam eine Abwehrhaltung zur Bundeshauptstadt Wien, was seit der Rekatholisierung im eigenständigen Kärnten immer gut ankam. Auch in der Migrationspolitik erfasste er den Unwillen der Österreicher, ein Einwanderungsland zu werden. Das ist in Kärnten noch verständlicher, wenn man sich die kulturellen Konflikte seit 1848 ansieht. Haider narrte den Verfassungsgerichtshof, als er die Exekutierung des Ortstafelgesetzes durch „Ortstafelverrückungen“ und die Montierung kleiner Tafeln verspotten ließ. Sehr zum Gaudium seiner Wähler übnrigens. Als seine FPÖ ab 1999 schließlich in der Regierung saß, wurden Kärntner Vorhaben Bundeschefsache: Der Koralmtunnel ist so ein Beispiel.

Haider – auch vokal der perfekte „zuagroaste Kärntner“

Soziale Erklärungsansätze: Das Land der unehelichen Kinder auf der Suche nach dem Landesvater

Soziologen und Philosophen haben einen weiteren Erklärungsansatz für die politischen Verhältnisse in Kärnten: Sei es nun die eher autoritäre Herrschaft der SPÖ unter Wagner und Co. bis 1989 oder danach Haiders fast 20-jährige politische Dominanz im Land. Sie argumentieren, dass die Kärntner ein Volk unehelicher Kinder versehen mit einem kollektiven Vaterkomplex sind.

Soziologisch betrachtet stimmt es, dass im wenig religiösen Kärnten der Anteil unehelicher Kinder im österreichischen Vergleich schon vor 100 Jahren enorm hoch war. Auch aktuell wird eine Mehrheit der Kärntner Nachkommenschaft unehelich geboren. Das hat neben einer geringeren Religiösität auch mehrere andere Gründe. Anders als in anderen Bundesländern gab es etwa im bäuerlichen Kärnten in der Habsburgerzeit eine starke Strömung gegen die Erbteilung von bäuerlichem Grundbesitz. Man wollte keine Zersplitterung von Höfen in kleinere Einheiten, die dann wirtschaftlich weniger lebensfähig waren (Kärntner Erbhöfegesetz). Das hatte zur Folge, dass es Herrenbauern mit vielen Knechten und Mägden gab, anstelle von vielen Kleinbauern mit einer Handvoll an Grund und Boden. Für die Knechte und Mägde galten restriktive Ehegesetze, aufgrund ihres sehr geringen sozialen Statusses. Wenig hilfreich war auch das fehlende ökonomische Kapital, das eine reguläre Hausstandsgründung oftmals undenkbar machte.

Das Gesinde bekam also von der Gesellschaft wie von der Kirche ein Heiratsverbot auferlegt, hatte aber natürlich trotzdem Sexualverkehr und Kinder. Arbeitsloses Gesinde wanderte dann in die Städte und größeren Dörfer ab und wurde dort zu einer proletarischen Unterschicht. Das hat zur Folge, dass Kärnten heute ziemlich urbanisiert ist und gleich drei große Städte in den Top-20 Österreichs stellt. Man kam also oft aus unehelichen Verhältnissen, war der Kirche gegenüber kritisch eingestellt und traf in den Städten dann auf den bürgerlich- deutschnationalen kirchenkritischen Diskurs. Das allesamt ergab wohl in Kombination einen Mix, der uneheliche Verhältnisse begünstigte. Wie wir aus der Moderne wissen, sind uneheliche Verhältnisse dann in der Regel auch instabiler als Ehen.

Fazit

Die politische Kultur Kärntens ist also das Resultat der politischen Strömungen des deutschen wie slowenischen Nationalismus im 19. Jahrhundert. Dazu kommen die Kriegserfahrungen aus zwei Weltkriegen, dem Kärntner Abwehrkampf und dem blutigen kommunistischen Partisanenkrieg mit Verschleppungen und Ermordungen von Kärntnern noch nach Kriegsende 1945. Sie ist auch ein Ausdruck der wirtschaftlichen Vernachlässigung Kärntens durch die Habsburger in Wien und der starke Deutschnationalismus ist eine Folge der als ungerecht empfundenen Rekatholisierung des Landes. Die in der zweiten Republik regierenden SPÖ-Landeshauptmänner haben – mit Ausnahme des betont linken aktuellen Landeshauptmannes Peter Kaiser – diese Stimmung stets politisch für sich genutzt und konnten daher gegen das Phänomen Haider keinen politischen Widerstand entfalten.

Kärnten hat die älteste staatsrechtliche Geschichte aller Bundesländer und ist in seiner Multikulturalität am Schnittpunkt dreier Kulturen noch stärker ein Grenzland als es die Steiermark oder Tirol je waren. Kärnten teilte bis 1919 viele Charakteristika mit anderen Ländern, musste dann aber „seine“ gemischtsprachigen Gebiete an die Kriegsgewinner abgeben. Im Falle Kärntens sollte man aber auch die Rolle Sloweniens nicht vergessen, das bis heute über den Verlust Südkärntens trauert, den Kärntner Fürstenstein als eigenes Symbol (!) auf seine Euromünzen prägt und seine deutschsprachige Minderheit bis heute nicht anerkennt. All das hielt auch die Kärntner Urangst einer Teilung länger aufrecht, auch wenn es politisch mit dem Zerfall Jugoslawiens unwahrscheinlich wurde. Politisch gewann also in Kärntnen in der Regel seit 1848 derjenige, der antiklerikal, antimonarchistisch (dann anti-Wien) und deutschliberal eingestellt war. Nicht wenige Wähler im 20. Jahrhundert waren also zuerst NS-Sympathisanten, dann SPÖ-Wähler und schließlich Haider-Jünger.

Nur der Hyposkandal und die drohende Pleite des Landes sorgten für den Machtwechsel 2013 hin zum betont linken Peter Kaiser, der infolge des Skandals kurz sogar mit einer rot-grünen Mehrheit regieren konnte. Zumindest bundespolitisch aber behielt die FPÖ in Kärnten ihre traditionell starke Rolle (beispielsweise NRW 2017 erzielte sie #1 mit 32 Prozent).

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Links & Quellen

Das Kronprinzenwerk: Die österreichisch-ungarische Monarchie (1891)

Geschichte Kärntens / Geschichte Kärntens 1918-1920: Abwehrkampf – Volksabstimmung – Identitätssuche

https://services.e-book.fwf.ac.at/api/object/o:1298/diss/Content/get

https://www.derstandard.at/story/1234508223487/kaernten-wahl-nichts-neues-im-sueden

https://www.diepresse.com/454131/karnten-wahlen-im-land-der-fliessenden-ubergange

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20061204_OTS0146/landeshauptmann-joerg-haider-erklaert-koralmtunnel-zum-sonderprojekt

PERCHINIG, Bernhard (1989): „Wir sind Kärntner und damit hat sich´s …“ Deutschnationalismus und politische Kultur in Kärnten. Klagenfurt: Drava Verlag

… Wir sind Kärntner und damit hat sich’s…: Deutschnationalismus und politische Kultur in Kärnten (Disertacije in razprave /Dissertationen und Abhandlungen)

SUTTER, Berthold (1980): Die politische und rechtliche Stellung der Deutschen in Österreich 1848 bis 1918. In: WANDRUSZKA, Adam; URBANITSCH, Peter (1980): Die Habsburgermonarchie 1848-1918. Band III: Die Völker des Reiches. 1. Teilband

WANDRUSZKA, Adam; URBANITSCH, Peter (1980): Die Habsburgermonarchie 1848-1918. Band III: Die Völker des Reiches. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Die Habsburgermonarchie 1848-1918 / Band III/1: Die Völker des Reiches 1. Teilband: Die Volker Des Reiches 1. Teilband

GRIESSER-PECAR, Tamara (2011): Maribor-Marburg an der Drau. Eine kleine Stadtgeschichte. Wien: Böhlau Verlag

Maribor/Marburg an der Drau, Eine kleine Stadtgeschichte

STEINWENDER, Johann (2014): Sprache und Nationalität im Kärntner Landtag. 1848-1914. Klagenfurt am Wörthersee: Malandro Verlag

Sprachen und Nationalitäten im Kärntner Landtag 1848 bis 1934: Von den Karantanen bis zum Ortstafelkonflikt

Ausgewählte Bücher zur Kärntner Geschichte