Lehrermangel in Österreich, was steckt dahinter?

Im September beginnt in Österreich wieder die Schule. Die Medien schreiben nun fast täglich davon, dass Österreich auch 2023 einmal mehr einen großen Lehrermangel erleben wird. Die Redaktion von „Der März“ hat deshalb dazu recherchiert, wie Bewerbungen für Junglehrer über die Bildungsdirektion Wien eigentlich so ablaufen. Kann sich aus diesem Prozess eine Erklärung ergeben, warum besonders in Wien ein großer Lehrermangel herrscht? Motiviert haben uns dabei Schlagzeilen wie diese:

Lehrermangel: Im Herbst drohen unbesetzte Klassen !

https://kurier.at/politik/inland/lehrermangel-im-herbst-drohen-unbesetzte-klassen/402529225

Weil das System der Anmeldung je nach Bundesland unterschiedlich ist, werden wir uns in diesem Artikel auf das Bundesland mit dem größten Lehrermangel konzentrieren: Die Stadt Wien. Aus unserer Recherche ergab sich nämlich, dass es dort besonders schlecht funktioniert. Während letztes Jahr etwa die steirischen Junglehrer ab Juni entspannte Ferien genießen konnten, weil ihren Stellen ab September 2022 bereits genehmigt waren, mussten die Wiener Junglehrer vielfach bis in den September hinein zittern. Und auch danach wurden – wohl wegen vieler leerer Klassen – noch neue Stellen vergeben ! Direkt politisch zuständig sind in Wien die NEOS unter Stadtrat Christoph Wiederkehr. Die politische Gesamtverantwortung liegt bei Bildungsminister Martin Polaschek von der ÖVP.

Der Bewerbungsvorgang: Wie man theoretisch einen Lehrerjob in Wien bekommt !

Das Prinzip der Bewerbungen für eine Stelle als Lehrer ist eigentlich verständlich und in der Theorie einfach. An eine Lehrstelle in einer Wiener Schule zu kommen, läuft wie folgt ab: Die Bewerbung läuft über das Portal der Bildungsdirektion Wien. Hier können Bewerber ein Konto anlegen und müssen alle Daten korrekt ausfüllen. Schließlich folgt das Einscannen und Hochladen der nötigen Dokumente für die BiDi (Bildungsdirektion), wie beispielsweise das Bewerbungsschreiben, der Lebenslauf, ein Strafregisterauszug usw. 

In der Bewerbungsfrist, die meistens Ende April oder Anfang Mai stattfindet, müssen die Bewerber lediglich die gewünschten Schulen anklicken. Es gibt zwei Fristen, getrennt nach APS (allgemeine Pflichtschule) und AHS/BHS (Gymnasien, berufsbildende höhere Schulen). Die Bildungsdirektion schickt nach Ende der Frist die Bewerbungen an die Schulen weiter. Danach werden die zukünftigen Lehrer von den Direktoren für Bewerbungsgespräche kontaktiert.

Die Realität

So viel zum theoretischen Bewerbungsvorgang. Die meisten der Bewerber machen dies auch so, wenn sie keine Bekannten oder Verwandten haben, die Lehrer sind, so unsere Interviewpartner. Das Vorgehen nach Plan kann sich jedoch oft als großer Fehler herausstellen. So kommt es nämlich oft dazu, dass sehr viele angehende Lehrer im September ohne Job sind, obwohl doch überall der Lehrermangel groß dramatisiert wird. 

Viele der Bewerbungen werden von der Wiener Bildungsdirektion nämlich erst gar nicht berücksichtigt, der Status der Bewerbung ändert sich oft monatelang nicht. Sehr viele Junglehrer suchen dann in der Folge in Eigenregie auch beispielsweise auf Facebook nach Stellenanzeigen und stoßen dort oft auch auf solche ihrer künftigen Kolleginnen und Kollegen. Zudem finden sich auf Facebook auch viel früher – oft schon Monate vor der Bewerbungsfrist der BiDi – Stellenanzeigen:

Warum ist das so? Die Schulen wissen selbst von der Unzulänglichkeit der Wiener Bildungsdirektion und des offiziellen Systems und werden deshalb selbst aktiv ! Es gibt also auf Social Media einen inoffiziellen parallen Bewerbungszyklus !

Wiener Bildungsdirektion als Problem?

Als ein großes problematisches Nadelöhr bezüglich der Bewerbungen für Lehrerstellen kann deshalb die Wiener Bildungsdirektion ausgemacht werden. Würden dort nämlich alle Bewerbungen berücksichtigt werden, könnten viele offene Lehrstellen früher und adäquater besetzt werden. Keine Schulen müssten selbst auf Social Media auf Stellensuche gehen, weil die Beamten, deren Aufgabe das normal wäre, hier versagen.

Auf einem der folgenden Screenshots aus einer Facebookgruppe kann auch ausgemacht werden, dass sogar Leute, die die zurzeit begehrten MINT-Fächer studiert haben, auch oft auf Barrieren stoßen, da die Wiener Bildungsdirektion es offenbar nicht nötig hat, alle Stellen zu besetzen.

Da wir einige Interviews geführt haben, haben wir auch erfahren, dass einige Stellen erst ab Oktober/November nachbesetzt werden und im Herbst Anrufe von Direktoren erfolgen. Eine uns bekannte Junglehrerin beispielsweise hatte schon in Eigenregie eine Stelle auf Facebook gefunden und wurde dann Mitte November (!) von einem Gymnasium mit einem anderen Stellenangebot kontaktiert. Auf der Plattform der BiDi schien nämlich nicht auf, dass die betroffene Person schon eine Stelle hatte. Im System wissen also die einen Akteure nicht, was die anderen tun und welches Angebot an Lehrkräften es eigentlich noch gibt.

Wie sollte man sich nun an den Wiener Schulen bewerben?

Da das neue System der Bildungsdirektion offenbar nur sehr schlecht funktioniert, ist es für angehende Lehrer ratsam, sich nicht nur auf das offizielle Portal der Wiener Bildungsdirektion zu verlassen. Besser ist es, an Schulen persönlich anzurufen und nachzufragen, ob Lehrstellen für das kommende Schuljahr frei werden. Ein anderer Rat wurde uns zudem auch gegeben: Die Schulen, bei denen man sich über die BiDi beworben hat, solle man am besten selber zusätzlich kontaktieren! Zusätzlich kann man diesen Schulen etwa noch eine Mail mit den Bewerbungsunterlagen schicken. Als Absicherung, wenn die Wiener Bildungsdirektion es verabsäumt, hier Bewerbungsunterlagen weiterzureichen, weil das ganze Bewerbungssystem ein mittleres Chaos zu sein scheint !

Fazit

Was lernen wir aus diesen Vorgängen? Wenn Junglehrer keine Antwort auf Bewerbungen erhalten und dann nur derjenige belohnt wird der selbst aktiv wird? Unabhängig von der Qualifikation und der Wartedauer! Auch wenn das System der Wiener Bildungsdirektion eigentlich anderes verspricht ! Wenn verzweifelte Direktoren auf Facebook selbst ihre Nachwuchslehrer suchen müssen?

Natürlich deutet das Versagen der Bildungsdirektion Wien auch auf ein Versagen der Bildungspolitik in Wien hin. Die seit ein paar Jahren die NEOS unter Bildungsstadtrat Wiederkehr verantworten, wobei sie aber natürlich in den roten Strukturen der SPÖ-Wien-Regentschaft arbeiten müssen ! Denn woran scheitert es, dass so viele Bewerber im System schlicht und einfach ignoriert werden? Und falls wirklich alle Stellen besetzt wären, könnte den betroffenen Personen wenigstens eine Absage geschickt werden? Beschwerden oder telefonische Nachfragen von angehenden Junglehrern werden laut unseren Gesprächspartnern gerne einfach ignoriert. Wenn man telefonisch zur Bildungsdirektion Wien durchdringt, ist erstmals niemand zuständig. Oder es kommt auch vor, dass man ständig weitergeleitet wird.

Aber nicht nur die Politik trägt Verantwortung für den Lehrermangel: WER arbeitet denn in der Bildungsdirektion? Wenn es in Wien jedes Schuljahr mehrere Tausend neue Lehrer gibt, sollte natürlich das Personal in der Wiener Verwaltung auch stimmen, das dann eine adäquate Zuteilung vornimmt. Es sollte nämlich die Aufgabe einer jeden Verwaltung sein, ihren Mitarbeitern sowenige Steine wie möglich in den Berufsweg zu legen !

In diesem Artikel haben wir also jedenfalls einige Faktoren ausgemacht, die nicht funktionieren. Diese finden sich vor allem im System, das von der Politik vorgegeben und von den Beamten der Bildungsdirektion dann umgesetzt wird ! Wenn jeder dort arbeiten würde, wie er sollte, könnte dies nämlich dazu beitragen, den Lehrermangel zu minimieren. Wie auch den Stress von angehenden Junglehrern !

Finanzielles

Falls Ihnen unser Beitrag zur Meinungsvielfalt gefällt und Sie dem März finanziell etwas unter die Arme greifen möchten, dann laden wir Sie herzlich ein, uns zu unterstützen:

Einfach beim Empfänger den IBAN unseres Firmenkontos eintragen und schon können Sie uns helfen!

IBAN: DE46 1001 1001 2622 4193 03

BIC: NTSBDEB1XXX