Bringt die „Mad Queen“ der EU den Brexit-Deal?

Die entscheidende politische Kraft hinter dem Brexit war natürlich der aktuelle britische Premier Boris Johnson. Seit 2 Jahren hat sich aber eine Machtplayerin hinter Johnson in der Downing Street Nr. 10 etabliert, die in den britischen Boulevardmedien den wenig schmeichelhaften Namen „Mad Queen“ verpasst bekommen hat: Seine Verlobte Carrie Symonds ! Die Daily Mail fragte etwa:

Will mad Queen Carrie destroy the court?

https://www.dailymail.co.uk/news/article-8949817/Dominic-Cummings-friends-say-mad-Queen-destroy-court.html

Da stellt sich für uns Europäer natürlich die Frage: Was will die „verrückte Königin“ Symonds in der Downing Street und wie beeinflusst sie ihren Verlobten Premier Boris Johnson? Welchen Führungsstil können die Briten und die EU in den kommenden Monaten erwarten? Ist Johnson wirklich schon schwer angeschlagen, wie manche Kommentatoren behaupten? Warum torpediert er bisher eine Eingung mit Brüssel durch Ultimaten, abstrusen Forderungen und lässt sogar völkerrechtliche Verträge außer Kraft setzen?

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Boris Johnson ist der Intimfeind der Brexitgegner

Brexit Verhandlungen

Es wird weiterverhandelt: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Premier Johnson ringen gerade um die Bedingungen der Trennungsvereinbarung nach dem bereits erfolgten Brexit. Es geht um Wirtschaftsbeziehungen, Handelsabkommen, Fischereirechte, die Frage der Irischen Grenze, den Schutz der EU vor Preisdumping über Großbritannien und die Frage der Geltung von EU-Recht in den gemeinsamen Beziehungen. Die britischen Konsumenten befürchten Preiserhöhungen nach dem Austritt aus der Zolunion, wenn 15 prozentige Standard-WTO- Zölle fällig werden.

Johnson über die Brexit-Verhandlungen

Die Performance Johnsons im Pandemiejahr 2020 sorgte für ein Rauschen im Blätterwald: einige sehen seinen Stern schon am Verglühen und sprechen von einer Entzauberung. Und das nach einem gigantisch großen Wahlsieg im Herbst 2019 mit einer Mehrheit von über 80 Mandeten. Nun verzeichnet Großbritannien die meisten Coronatoten Europas, reagierte stümperhaft auf die Pandemie und hielt zu lange an der illusorischen Idee einer Durchseuchung fest. Die britische Wirtschaft brach nach dem spät erfolgten Lockdown dann härter ein als in den anderen Industriestaaten. Ein Leak aus der Regierungsspitze zwang Großbritannien zum erneuten Eingeständnis des Scheiterns: Lockdown II wurde Ende Oktober verhängt. Zusätzlich rebellieren wieder einmal die schottischen Nationalisten, die nach nur ein paar Jahren ein neues Unabhängigkeitsreferendum fordern. Die Glaubwürdigkeit Johnsons ist angekratzt. Offene lustvoll ausgetragene Konfrontationen mit innenpolitischen Gegnern haben da nicht geholfen.

Deshalb soll 2021 alles besser werden: Frei von der EU soll „Global Britain“, die Seefahrernation nach Johnsons Wünschen wiedererstehen. Eine grüne Revolution soll tote Industrieregionen wiederbeleben und das Militär wird aufgerüstet mit Laserwaffen.

Die Johnson-Regierung

In der Downing Street war von der letzten Wahl 2019 bis zum diesjährigen November ein Berater für Johnson von zentraler Wichtigkeit: Dominic Cummings. Er forcierte Johnsons Umbau der konservativen Torys in eine nationalistische englische Partei. Die Briten waren mittlerweile nämlich durchaus nationalistische Eiferer geworden, die mehrheitlich auch nach dem EU-Austrittsreferendum daran festhielten. Ein Faktum, das am Kontinent lange nicht erkannt und von liberalen Politikern bis heute teilweise zu einem Irrtum der Geschichte verklärt wurde. Währenddessen ließ Johnson seinen harten Brexit Kurs von einer großen Mehrheit im Dezember 2019 legitimieren. Seine Berater und Einflüsterer arbeiten dabei schon lange am Post-Brexit Britannien.

Dieses neue Britannien soll im Inneren wieder mehr zentralisiert werden. Gliedstaaten wie Schottland, der Beamtenapparat und die Justiz sollen wieder stärker mit der Regierung in London verknüpft werden. Die antibritische Regionalregierung in Schottland soll weniger Einfluss haben, was vor allem mit den Aktionen der schottischen Nationalisten und Separatisten begründet wird. Die sich auch von einem negativ ausgegangenen Unabhängigkeitsreferendums 2014 nicht einbremsen lassen. Der linke Premier Tony Blair hatte die verstärkte Selbstverwaltung einst eingeführt und einer künftigen schottischen Unabhängigkeit damit wohl einen großen ersten Dienst erwiesen. Kurz gesagt: Die Downing Street als Exekutive soll künftig mehr Einfluss haben, gegenüber der Legislative in Westminster und Edinburgh. Um den wirtschaftlichen und kulturellen Umbau Großbritanniens effektiv vorantreiben zu können.

Als in der Coronakrise Johnsons schmissige Parolen, seine Späße und kurzweiligen Auftritte plötzlich erstmals deplaziert waren und seine Tendenz mit wenig Detailwissen öffentlich aufzutreten nicht mehr lustig war, brachen die Umfragen ein. Aus dem König der Späße wurde in den Augen vieler Briten ein imkompetenter, überforderter Premier, dem selbst die ganze frustrierende Sache mit zehntausenden Toten auf sein Gemüt zu schlagen schien. Die Frohnatur Boris landete selbst auf der Intensivstation und musste um sein Leben kämpfen.

Boris Johnsons Laune

In dieser Zeit wuchs diametral mit dem Anstieg der Herausforderungen der Einfluss seiner engsten Berater wie der von Dominic Cummings. Konservative Kritiker bescheinigen Johnson eigentlich kein Kämpfer zu sein, sondern ein Schönwetterpolitiker, der gerne gemocht und es vielen Menschen einfach recht machen möchte. Tratsch und Gerüchte dringen seit dem Herbst nun nach außen: Boris sei amtsmüde und selbst angeschlagen von seinen frustrierenden Aufgaben als Corona-Premier. Außerdem sei er privat in Geldnöten – mindestens (!) sechs Kinder und deren Unterhalt nagen an Johnsons (im EU- Politikervergleich eher mickrigen) 150.000 Euro Jahresgehalt. Als Teilzeitjournalist hatte er vor der Wahl sich nämlich viel mehr Geld dazuverdienen können. Im britischen Unterhaus hat sich nun mit rund 70 Mitgliedern eine – in Pandemiefragen abtrünige – Covid-Fraktion gebildet, die keine Lockdowns will und weniger staatliche Einmischung fordert.

Fraktionskämpfe in der Downing Street

In der Regierung gibt es aktuell zwei Lager. Dominic Cummings, Mastermind der Brexit-Kampagne sowie Johnsons Stabschef, führt die überzeugten Brexiteers an. Auf der moderateren Seite steht Carrie Symonds, ihres Zeichens ehemalige Kommunikationsstrategin der Torys, Tier- und Klimaaktivistin und Verlobte des Premiers. Cummings entfesselte einen Furor gegen alle Abweichler, was Symonds mit einer anderen Gruppe Frauen nach einiger Zeit ablehnte. Die Symonds Fraktion sorgte sich, dass am Ende auch Johnson selbst Cummings Kreuzzug zum Opfer fallen würde. Als Kollateralschaden der Kampagnisierungen. Die Meinungen in Westminister sind seit Monaten geteilt, ob nun Johnson von Cummings gekidnappt wurde, oder doch am Gängelband der „Mad Queen“ hängt. Die Rivalität spaltete den inneren Kreis der Regierung. Dabei flogen die Äxte tief: Symonds wurde angeblich als „Princess Nut Nut“ bezeichnet. Und eben als „Mad Queen“.

Mitte November sprach Boris dann nach weiterem herummäandern ein Machtwort: Cummings wurde entlassen. Was vielleicht auch mit der Abwahl Trumps korreliert. Verbündete von Cummings empörten sich nach dessen Entlassung:

You can smell it. It’s the end of days. It’s a story as old as time. The Mad Queen destroys the court

https://www.dailymail.co.uk/news/article-8949817/Dominic-Cummings-friends-say-mad-Queen-destroy-court.html

Sie stellten also das politische Ende von Johnson in den Raum. Verbündete von Symonds sprechen dagegen von Frauenfeindlichkeit der Cummings-Leute gegenüber Symonds. Johnson zog letztlich das Ultimatum erst, als Cummings seinen Rücktritt als Druckmittel verwendete, um seinen Verbündeten Lee Cain im Job zu halten. Cain hatte sich seinerseits einen Kleinkrieg mit Allegra Stratton (PR Dame und Verbündete von Symonds) geliefert und sich überschätzt. Flügelkämpfe allerorten. Wie übrigens Cummings selbst während der Coronakrise, als die Öffentlichkeit ihn nach Regelverstößen schon aus dem Amt werfen wollte. Damals machte ihm Johnson aber noch die Mauer. Bitterkeit und Ärger herrschen also in Teilen der Downing Street vor. Fraglich ist nun wie die „Mad Queen“ ihren neuen Einflussspielraum wird nützen können.

Die Neuerfindung des Boris Johnson?

Wird BoJo wieder der gutmütige Kumpeltyp ohne ideologischen Brexiteifer? Kommt ein Deal mit der EU, ein Kompromiss? Wahrscheinlicher ist es mit dem Abgang von Cummings, der einen klaren Bruch mit der Union bevorzugte. Kommt also ein neues Britannien mit einem erneuerten Johnson? Garniert mit einer Symonds-forcierten grünen Politik, für die Boris früher nur Spott übrig hatte? Ein Schwenk hin zu – von Symonds bevorzugtem – liberalen Ökokonservativismus wird schwierig, nachdem die Nation voller aufgeheizter Brexit-Nationalisten ist. Alleine der rhetorische Versuch zeigt aber schon den grünen Einfluss der neuen „Königin“ in der Downing Street. Laut Aussagen ihrer Freunde setzt sich Symonds für einen breiteren Zugang zum Premierminister ein, um ihn für weitere Berater zugänglich zu machen. Und in so mehr in die Mitte zu maneuvrieren, während beim Brexit alles noch auf „No Deal“ steht. Was wiederum für eine Kompromisslösung mit Brüssel spricht.

Cummings wird sich mit seinen Brexiteers aber vielleicht rächen wollen und Johnsons Einfluss weiter schwächen. Der Deal muss ja schließlich durch das Unterhaus, wobei wie vor kurzem auch hier wieder Labour MPs einspringen könnten, um Johnson eine Abstimmungsniederlage zu ersparen. Das „Game of Thrones“ in der Downing Street von Politberater gegen PR-Dame und Verlobte des Premierministers spricht dabei nicht gerade für die Führungsstärke des Premierministers. Ebensowenig wie das Faktum, das Cain und Cummings den Zugang zum Premierminister streng kontrollierten und Johnson dies lange hinnahm und so Macht ins Vorzimmer verlagerte.

Unterschätzen sollte man den „Serien-Lazarus“ der britischen Politik aber auf keinen Fall. Noch immer ist Johnson bisher aus jeder Krise irgendwie neu und gestärkt hervorgekommen. Ihm hilft es ein guter und unterhaltsamer Kommunikator zu sein, zu dem man im Guten wie im Schlechten eine persönliche Verbindung aufbauen kann. Sein gutes Gespür für die britischen Launen, wird ihn wohl auch beeinflussen, wenn er die finale Entscheidung zum „Deal or No Deal“ trifft.

Fazit

Johnsons charakterliche Schwächen kommen in dem Brexit-Theater wohl ebenso zum Vorschein, wie seine emotionale Abhängigkeit von einer äußerst willensstarken politischen Verlobten. Seine Vorgängerin May hat zwar auch jedes Vorhaben Berichten zufolge mit ihrem Mann abgestimmt, nun scheint es aber etwas stürmiger in der Downing Street zuzugehen. Sein Rückhalt im Parlament bröckelt wieder einmal, die Verhandlungen mit der EU werden wohl auf die Spitze getrieben, um schmerzhafte Kompromisse möglichst gut verkaufen zu können. Der Sonderstatus für Irland, Fischereirechte und die Übernahme europäischer Regelungen sind die wichtigsten Themen. Politische Instinkte hatte Johnson zumindest bisher in der Regel die Richtigen. Man wird also sehen müssen, welcher Kompromiss oder No Deal am Ende heraus kommt.

Einen enormen selbstverschuldeten Schaden hat die EU. Die mit ihrer in vielen Bereichen zu expansiven Bürokratie und vor allem (!) ihrer gescheiterten Grenzsicherungspolitik den Austritt erst verschuldet hat. Brüssel, wie jede Bürokratie, strebt permanent nach mehr Macht und Einfluss. Angetrieben wird das von vielen abgeschobenen Politikern und Bürokraten aus der zweiten nationalen Reihe, die in Brüssel nun allen zuhause ihren Wert beweisen wollen. Glaubt man Analysten haben die Briten gute Chancen vom Brexit mittelfristig wirtschaftlich zu profitieren. Machen sie es gut, können sie eventuell sogar den EU-Markt austricksen und billige Güter aus Drittstaaten mit eigenen Ettiketen in die Union teuer verkaufen. Eine Steueroase für die Unternehmen und Reichen der Welt werden sie außerdem ohnehin werden.

Links

Gabriel Rath: Nächster Akt im Brexit Drama. In: „Die Presse“ vom 14.12.2020: S. 5

https://www.dailymail.co.uk/news/article-8949817/Dominic-Cummings-friends-say-mad-Queen-destroy-court.html

Gabriel Rath: Londons entzauberter Zauberer. In: „Die Presse“ vom 13.12.2020: S. 5

Jörg Schindler: Spaß beiseite. In: „Der Spiegel“ vom 05.12.2020: S. 82ff.