
Quelle: Deutsches Bundesarchiv (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_183-1987-0922-500,_Wien,_Heldenplatz,_Rede_Adolf_Hitler.jpg)
Bis Ende der 1980er Jahre galt Österreich offiziell nach Diktion der Republik und der heimischen Politik als erstes Opfer Hitlers: Die Republik pflegte den Opfermythos. Unter dem Eindruck der Waldheim-Wahl und dem Aufstieg der FPÖ sattelte die medial und ideologisch tonangebende (va. linke) Elite dann um: Österreich war nun Tätervolk und hatte „gemeinsam“ mit den Deutschen den zweiten Weltkrieg begonnen. Der Tätermythos war damit geboren. In diesem Artikel wollen wir aber nun die These aufwerfen, dass beide Extreme falsch sind, weil ja Beides gleichzeitig stimmt. Die Republik Österreich als staatliche Entität und die Gegner des Anschlusses waren definitiv Opfer einer Aggression, während nationalsozialistische Sympathisanten, Funktionäre und später Kriegsverbrecher natürlich Täter waren. Die österreichische Geschichtsschreibung hat unserer Ansicht nach zuerst in die eine Richtung falsch überzeichnet und tut es nun in die andere. Dabei hat Bundeskanzler Vranitzky bei der „Beerdigung“ der einseitigen Opferthese etwas völlig Richtiges gesagt:
1991 legte Bundeskanzler Vranitzky das Bekenntnis zur „Mitverantwortung“ ab, für das Leid, das zwar nicht Österreich als Staat, wohl aber Bürger dieses Landes über andere Menschen und Völker gebracht haben“.
Dieses Bekenntnis zur Mitverantwortung wurde dann in den folgenden Jahrzehnten vielfach völlig einseitig genutzt, um ganz Österreich in die NS-Mitschuld einzubeziehen. Dabei hatten schon die Alliierten in der Moskauer Deklaration 1943 festgehalten:
Die Regierungen des Vereinigten Königreiches, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika sind darin einer Meinung, dass Österreich, das erste freie Land, das der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer fallen sollte, von deutscher Herrschaft befreit werden soll.
Österreich wird darin staatsrechtlich zurecht als Opfer betrachtet, was es ja auch war. Staat und Bevölkerung wurden mit militärischer Gewalt annektiert. Hunderttausende Österreicher starben infolge von Krieg und Verbrechen der NS-Diktatur. Weil die Geschichte aber immer gerne politisch verwertet wird – um etwa vor „der Rechten“, wie der FPÖ zu warnen – fehlte vielfach in den letzten Jahrzehnten dazu ein ausgewogener Ansatz. Die Geschichte wird schließlich in der Regel von den Siegern geschrieben. Heute sind die „Sieger“ linke Historiker im Stile der Alt68er, die nach dem Marsch durch die Institutionen ihre Weltsicht verbreiten können und nach dem Krieg waren es Historiker im Dienste eines Staates, der bewusst gar keine Verantwortung übernehmen wollte.
Die Sowjetunion wollte die Mitverantwortung Österreichs 1955 im Staatsvertrag verankert wissen, aber der damalige Außenminister Figl verhandelte das damals geschickt heraus. Figl war nämlich selbst im KZ gesessen und ganz klar Opfer der Nazis, während die Sowjetunion unter Molotow mit Hitler-Deutschland von 1939-1941 verbündet war. Diese Logik ließen die Sowjets dann doch durchgehen. Man sieht daran vor allem eines: Geschichte ist kompliziert. Die Rolle Österreichs und der Österreicher in der NS-Zeit ist nicht nur schwarz oder weiß! Das wollen wir uns in diesem Artikel anlässlich des Gedenkjahres 2025 nun ansehen.

Der Anschluss: Finis Austriae
Nach 1918 wollten die meisten Österreicher den Anschluss an Deutschland, weil man nicht glaubte, als Reststaat überlebensfähig zu sein. Im Jahr 1938 war das aber längst nicht mehr so eindeutig. Historiker nehmen etwa an, dass Schuschniggs Volksabstimmung über die Eigenständigkeit Österreichs 1938 durchaus eine Mehrheit gefunden hätte. Deshalb marschierte Hitler-Deutschland auch schließlich militärisch ein. Die Österreicher sollten besser nicht demokratisch zu Wort kommen. Das Stimmungsbild im Land wird wohl ganz gut durch folgendes historisches Zitat, das dem damaligen Bundeskanzler Schuschnigg zugeschrieben wird, beschrieben:
30% der Österreicher sind für uns und 30% für Hitler. Der Rest ist politisches Treibholz, das dem jeweiligen Sieger zugeschwemmt werden wird.
Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, ein ihm zugeschriebenes Zitat aus dem Jahr 1938
Für diese Analyse des Bundeskanzlers spricht etwa, dass auch 1938 die Habsburger-Monarchie und damit der habsburgtreue Legitimismus in Österreich immer noch sehr viele Anhänger hatte. Der deutsche SPIEGEL analysierte etwa in dieser Hinsicht folgende Fakten:
Die Zahl der Legitimisten war damals in Österreich womöglich noch größer als die der Nazis – monarchistische Bewegungen hatten etwa eine Million Mitglieder, in 1500 österreichischen Gemeinden war Otto Habsburg Ehrenbürger. Schon Dollfuß hatte als Wappentier seines Ständestaates den Habsburger Doppeladler wieder eingeführt. Deutsche Agenten alarmierten Berlin mit einem Flugblatt der Legitimisten, in dem es hieß: »Was gab der Kaiser? Brot für alle, Frieden für alle, Gerechtigkeit für alle. Alter, erinnere dich daran! Junger, frag deine Eltern!
Mit dieser Aussage und der zunehmenden Popularität der Eigenständigkeit Österreichs gerät der NS-Anschlussmythos dann doch ins Wanken. Der Ständestaat Österreich wehrte sich zudem, solange dies möglich war, gegen den Anschluss und füllte die Gefängnisse mit Nationalsozialisten. Parallel dazu wuchs aber mit der 1000-Mark-Sperre der psychologische und wirtschaftliche Druck auf Österreich stetig an. Dies mag mit ein Grund dafür gewesen sein, warum sich nach dem Anschluss, rein psychologisch gesehen, viele Österreicher dann doch schnell damit arrangieren konnten. Aus der Retroperspektive schien dieser Anschluss in den Augen vieler Österreicher angesichts der Übermacht Deutschlands ja ohnehin alternativlos zu sein, vor allem seit Mussolinis Italien Österreich aufgegeben hatte. Auch alliierte Diplomaten sahen das übrigens damals so:
»Ich wünschte fast, daß Deutschland Österreich schluckt, damit diese Sache endlich vorbei ist … Was bringt es, Hitler ständig mit dem österreichischen Problem auf die Nerven zu gehen, wenn wir in dieser Angelegenheit überhaupt nichts tun können?«
Britischer Diplomat Cadogan, zitiert nach https://www.spiegel.de/politik/dieses-volk-bekam-was-es-verdient-a-80913f6e-0002-0001-0000-000013526490?utm_source=chatgpt.com
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Anschluss und Volksabstimmung
Die Annexion Österreichs erfolgte 1938 durch den deutschen Einmarsch dann letztlich mit der Gewalt des Faktischen. Die nachträgliche Abstimmung unter massivem Propagandadruck war eine reine Farce. Geheime Abstimmung war teils nicht möglich, denn – so NS-Regimevertreter – richtige Deutsche sollten sich ruhig offen bekennen. Es ist daher mehr ein Wunder, dass „nur“ 0,27 Prozent (oder rund Österreicher) sich gegen den Anschluss aussprachen. Rund 70.000 Österreicher waren da längst verhaftet worden (meist in Wien) und 8% der Wähler (ca. 400.000 Österreicher) waren von der Abstimmung aus politischen Gründen überhaupt ausgeschlossen worden. Das Ergebnis der Abstimmung war also von Beginn an sonnenklar. Die Realität war freilich eine etwas andere. Laut internen Gestapo-Berichten wollte etwa in Wien nur ein Drittel der Bevölkerung tatsächlich den Anschluss.
Die Nazis haben also mit Propaganda, Einschüchterung, vermeintlicher Alternativlosigkeit und den Ausschluss unerwünschter Personen ihr hohes Abstimmungsergebnis erzwungen. Mit einem ähnlichen (!) taktischen Schachzug wollte vor ihnen übrigens Bundeskanzler Schuschnigg eine 75%-Mehrheit gegen den Anschluss erringen. Bei der von Hitler mit Gewalt verhinderten Pro-Österreich-Abstimmung sollte (wie später ebenso) Druck ausgeübt und getrickst werden:
Schuschnigg dachte alles zu tun, um die von ihm erwarteten 68 bis 75 Prozent der Stimmen zu bekommen. Für die Durchführung mobilisierte er die Vaterländische Front, die auch mit in den Wahllokalen sitzen sollte. Stimmzettel waren offen abzugeben, es sollten nur solche mit »Ja« gedruckt werden; »Nein«-Zettel hätten die Wähler unter den Augen der VF-Funktionäre selber zu schreiben. Das Wahlalter, sonst 21, war auf 24 Jahre festgesetzt worden, da die Nationalsozialisten bei den Jungen sehr stark vertreten waren. Der Finanzminister mußte für die propagandistische Vorbereitung und Durchführung vier Millionen Schilling herausrücken, für die er gar keine Deckung hatte.
Wie gut das funktioniert hätte, zeigen Ergebnisse aus abgelegenen Gemeinden, wo tatsächlich mangels besseren Wissens zwei Abstimmungen abgehalten wurden:
In der von der Außenwelt abgeschnittenen Berggemeinde Pretal bei Obdach, hatten die Bürger zu spät vom Umschwung in Wien erfahren und am 13. März die landesweit abgesagte Volksbefragung Schuschniggs abgehalten. Ergebnis: 100 Prozent Ja für Österreich. Am 10. April konnte die Gemeinde Pretal wieder ein 100prozentiges Ergebnis melden: diesmal für Hitler und den Anschluß. Genau das Gleiche passierte im Tiroler Einöddorf Tarrens. Verächtlich notierte der französische Militärattache in Wien, Oberstleutnant Salland: »Dieses Volk von Dienstboten hat nur bekommen, was es verdient.«

Wenn Sieger Geschichte schreiben
Die aktuelle stark links eingefärbte Geschichtsschreibung wiederum arbeitet heute ihrerseits visuell gerne mit genau den Nazi-Bildern von den großen Kundgebungen am Heldenplatz, wo 250.000 Österreicher Hitler zugejubelt haben. Diese Bilder suggerieren natürlich große österreichische Zustimmung, was 1938 ganz im Sinne der Nationalsozialisten war. Heute ist es freilich im Sinne all jener, die den reinen Tätermythos bedienen wollen. Somit befeuert man den Kampf gegen Rechts umso mehr, indem man die ganze Vergangenheit Österreichs zwischen 1938 und 1945 durch diese eine Linse sieht.
Dass aber ganze Wiener Betriebe und Beamtensektionen wie auch Schulen zur Teilnahme verpflichtet wurden, um den Heldenplatz ja für den „Führer“ mit Menschen aufzufüllen, räumt man heute wie damals eher in Nebensätzen ein. Das dort dann aus Angst vor beruflichen oder persönlichen Konsequenzen mitgejubelt wurde, übrigens ebenso. Das passt nämlich nicht so gut in den linken Tätermythos und den Nazis hätte es nicht in die Anschlussbegeisterung gepasst, was aber wiederum nicht heißen soll, dass der Anschluss anderswo in Österreich nicht durchaus wirtschaftlich wie politisch populär war. Tirol und Salzburg stimmten schon 1921 über einen Anschluss an Deutschland ab und befürworteten diesen mit rund 99%. Sie waren von der deutschen 1000-Mark-Sperre zudem wirtschaftlich besonders geschädigt, weil der Tourismus aus Deutschland ausgeblieben war. Auch traditionell noch aus Monarchiezeiten deutschnational geprägte Regionen wie Graz oder Kärnten waren wohl 1938 ohne viel NS-Propaganda mehrheitlich dafür.
Propaganda und Gegenpropaganda in den damaligen Medien, sowie wechselhafte Zukunftserwartungen einer verunsicherten eher armen Bevölkerung führten dann 1938 zu sprunghaften kuriosen Meinungswechseln:
In Innsbruck, wo noch wenige Tage zuvor Schuschnigg unter dem Beifall der Tiroler sein »Rot-weiß-rot bis in den Tod!« gerufen hatte, demonstrierten die gleichen Tiroler nun gegen die Volksbefragung: Sie wollten, so ein Zeitgenosse, »lieber braun als tot« sein.
Alternativlose Konformität
Durch die nationalsozialistische Propaganda und die Ausschaltung aller alternativen Stimmen war der Druck zur Konformität ab 1938 sehr groß. Politisch war die Lage damals zudem völlig alternativlos, denn mit Ausnahme Mexikos hatte kein Land der Welt gegen den Anschluss protestiert. Den einfachen unzufriedenen Österreichern erging es damals wie den einfachen Russen heute, die Putins Regime ablehnen: Es gab die Wahl zwischen Gefängnis und Auswanderung. Nur war Österreich 1938 ein relativ armer Agrarstaat, wo eine Auswanderung für viele Menschen unleistbar war, ganz abgesehen von den mangelnden Fremdsprachenkenntnissen. Wenn das eigene soziale Umfeld dann vermeintlich rasch konform ging, dann erhöhte dies den Druck dasselbe zu tun. Heute würde man das wohl FOMO nennen (Fear Of Missing Out), die Angst, in der Zukunft benachteiligt zu werden, während andere profitieren.
Das heißt aber wiederum nicht, dass nicht auch gewisser institutioneller Widerstand tapfer geleistet wurde. Widerstand gegen den Anschluss und die Ernennung eines nationalsozialistischen Bundeskanzlers kam übrigens bis zuletzt vom Bundespräsidenten Miklas, der hier ordentlichen Mut und eine gewisse Standfestigkeit bewies:
Der Weg schien frei für die offizielle Machtübernahme Seyß-Inquarts – doch da spielte plötzlich der Bundespräsident Wilhelm Miklas nicht mit. Er verweigerte die Ernennung Seyß-Inquarts, was in Berlin Göring in Rage brachte. Da übernahm Seyß-Inquart auf Order Görings einfach am störrischen Präsidenten vorbei die Macht. Göring bestellte beim neuen Kanzler in Wien das Telegramm mit einem militärischen Hilfeersuchen.
Die Staatsspitze wehrte sich also so lange es möglich war, sodass deutsche Nationalsozialisten einfach die Sache selbst in die Hand nahmen. Aber nicht einmal die Nazis hatten einen fixen Plan für Österreich. Der später folgende deutsche Einmarsch war eine Idee Görings, während Hitler bis kurz davor gezaudert hatte. Noch Stunden davor ließ er skeptisch in Rom nachfragen und war erleichtert, als er hörte, dass Italien nicht einschreiten wollte. Aber auch österreichische Nationalsozialisten (!), wie Bundeskanzler Seyß-Inquart, versuchten den Einmarsch zu verhindern! Kurios war im Zuge dieses allgemeinen Chaoses, das nationalsozialistische „Verständnis“ für den NS-Gegner Bundespräsident Miklas. Man vermeinte den Grund für seine Störrigkeit in seinen Lebensumständen und seinem Kinderreichtum (!) zu sehen:
Hermann Göring zum deutschen Militärattachee in Wien: „Na gut, bei 14 Kindern muß man vielleicht sitzen bleiben.“
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.): „Anschluß“ 1938. Österreichischer Bundesverlag, Wien 1988, S. 262.
Der Großteil der Österreicher arrangierte sich nach dem Anschluss allerdings sehr rasch im später deutsch besetzten Europa, so auch die meisten anderen Bevölkerungen. Das klingt heute wenig heroisch, war aber wohl schlicht alternativlos. Ein Partisanenkrieg gegen die deutschsprachigen Brüder a la Balkan oder ein Aufstand wie in Warschau waren weltanschaulich in Österreich nicht denkbar. Schließlich war das Habsburgerreich selbst bis 1866 die Führungsmacht aller deutschen Staaten und im ersten Weltkrieg hatten Deutsche und Österreicher Seite an Seite gekämpft. Nachdem Österreich den Krieg übrigens begonnen hatte.

Die Überkompensation
Um sich mit dem neuen Regime gut zu stellen, traten viele Österreicher dann schnell in die NSDAP ein – die rot-weiß-rote Parteibuchwirtschaft trat hier zutage. Aber wohl auch die Angst, in einem neuen System potentiell viel zu verlieren. Die Welle an NS-Parteieintritten ging dann so schnell und in einem derarten Ausmaß vor sich, dass es Hitler mehr als suspekt wurde und er einen Stopp der vielen opportunistischen Parteieintritte aus der „Ostmark“ anordnete. Vor die alternativlose Wahl gestellt, nun brave Bürger Nazi-Deutschlands zu werden, kompensierten viele Österreicher den vorherigen mangelnden Enthusiasmus nun wohl voreilig mit dem Parteieintritt. Mit der anlaufenden „Arisierung“ gab es zudem bald Vermögenswerte zu verteilen, die sich vor allem in Wien viele Menschen raschestmöglich aneigneten. Hier lebte schließlich der Großteil der österreichischen Juden.
Ein begünstigender Faktor der Akzeptanz der deutschen Herrschaft war auch das Faktum, dass Hitler ja selbst Österreicher war. Man wechselte also von einem österreichischen Regime zu einem anderen, mit zumindest einem Österreicher an der Spitze. Der anfängliche große Jubel vieler Oberösterreicher über ihren Landsmann Hitler beim Einmarsch hat etwa nach Ansicht einiger Beobachter Österreichs staatliches Schicksal 1938 vorschnell entschieden.
»Die Bevölkerung von Linz hatte den Strick geknüpft, und Hitler zog ihn zu«, hämt der Brite David Irving in seiner Göring-Biographie. Der Ex-Minister Heinrich Drimmel urteilt: »Linz – das war das Ende Österreichs.« Göring, bis dahin mit Hitler einig, daß den Österreichern ein autonomer Status gewährt werden sollte, schickte, nachdem er im Radio die Ekstase der Linzer miterlebt hatte, einen Kurier zum Führer mit der Botschaft: »Wenn die Begeisterung und Aufnahme so gut ist, warum machen wir es nicht ganz?«
Die Täter
Da entfuhr es dem Kanzler von Görings Gnaden, Seyß-Inquart, der Hitler nach Linz entgegengefahren war: »Wir schlittern ja mit vollen Segeln in den Anschluß hinein!« Er war, wie die meisten österreichischen Nazis auch, überzeugt gewesen, daß eine Vereinigung beider Staaten noch »mindestens fünf Jahre« dauern werde – und er wollte gern noch länger bleiben, nicht als Regierungschef mit der kürzesten Amtszeit in der Geschichte Österreichs binnen 24 Stunden zum »Reichsstatthalter« degradiert werden.
Wie es die Mitläufer, die Konformisten und die Opfer gab, so gab es hierzulande auch genügend „Täter“. Also jene Österreicher, die mit dem Nationalsozialismus, Hitler, dem Anschluss und dem Nationalsozialismus schon früh sympathisierten. Sie werden unter jenen zu finden sein, die schon davor deutschnational affin waren und der NSDAP und ihren Aktivitäten nahe standen, sowie natürlich unter den vielen eifrigen Opportunisten. Dazu kommen dann natürlich auch jene Österreicher, die in der Exekutive, SS, SA und Wehrmacht die ihren Beitrag zu Kriegsverbrechen und dem Holocaust geleistet haben. Hier besteht eine individuelle Verantwortung, aber eben nicht direkt eine staatliche Verantwortung Österreichs, weil die Verbrechen ja nicht im Namen und Auftrag Österreichs ausgeführt worden waren. Das heißt freilich nicht, dass Österreich es nicht gut tut, hier Verantwortung für die individuellen Verbrechen seiner Bürger zu übernehmen.
In der oberen Führungsriege des NS-Staates in Berlin waren Österreicher dennoch die große Ausnahme. In der Wehrmacht gab es keinen einzigen österreichischen Generalfeldmarschall und nur wenige Generäle, die einen Angriffskrieg hätte mitplanen können . Deutsche KZs waren dafür voll mit rot-weiß-roter Vorkriegsprominenz, wie etwa Figl und Schuschnigg. Einige österreichische Täter finden sich dafür leider im Holocaust. An der Spitze steht dabei Adolf Eichmann. Gefolgt von Ernst Kaltenbrunner, Alois Brunner, Odilo Globocnik, Amon Göth, Arthur Seyß-Inquart, August Eigruber, Heinrich Gross und noch einigen anderen. Dennoch ist laut einer Studie von Zeithistoriker Kurt Bauer die Behauptung, Österreich habe im Holocaust mehr Täter als Deutschland hervorgebracht, falsch. Es gab statistisch gesehen keinen überdurchschnittlich hohen Anteil von Österreichern unter den NS-Tätern. Bauer unterlegt dies mit folgenden Zahlen, die Österreich nicht rein waschen, die aber gewisse historische Mythen widerlegen:
Grundsätzlich machten die Ostmärkerinnen und Ostmärker etwa 8,8 Prozent der Bevölkerung des Deutschen Reichs aus, ähnlich hoch war auch der Anteil bei den NSDAP-Mitgliedern. In den meisten der 20 von Historiker Bauer analysierten Tätergruppen liegt der österreichische Anteil knapp unter den 8,8 Prozent.
Fazit
Die Österreicher waren also beides: Täter und Opfer, Mitläufer und Konformisten. Österreich war als Staat ein Opfer der hitlerschen Aggression und das Volk wurde in seinem Widerstand am Ende allein gelassen. Die Regierung wollte kein Blutvergießen und auch die Bevölkerung war am Ende individuell nicht bereit, in vermeintlich hoffnungsloser Lage stattdessen potentiell gefährlichen zivilen Widerstand zu leisten. Das kam dann erst später im Zweiten Weltkrieg, als die Verbrechen des Regimes immer offener zu Tage traten. Von der angefachten Jubelstimmung in Oberösterreich ließen sich 1938 freilich viele mitreißen. Die Gegner der Nazis und jene trauerenden Österreicher, die eigenständig und ohne NS-Regime leben wollten dokumentierte freilich niemand für die Wochenschau! Es gab sie aber dennoch, in großer Zahl. Wir sollten daher auf Historiker wie Kurt Bauer hören, anstatt die Geschichtsschreibung hierzulande einem einfältigen „Kampf gegen Rechts“ unterzuordnen, der die Vergangenheit per „Tätermythos“ kollektiv schwarz-weiß färbt:
Ein überdurchschnittlich hoher Anteil von Österreichern an den NS-Tätern ist nicht nachweisbar. Die „Täterthese“ ist ebenso wie die wissenschaftlich längst widerlegte „Opferthese“ nicht haltbar.
Zeithistoriker Kurt Bauer, zitiert nach https://kurier.at/wissen/wissenschaft/faktencheck-waren-wirklich-besonders-viele-nazi-verbrecher-oesterreicher/
Was übrigens ebenso unhistorisch wie unredlich und unrichtig ist, sind Vergleiche von der NS-Zeit zu rechtspopulistischen Parteien heute. Die Verbrechen der Nazis, wie etwa der Massenmord an den Juden sind eine historische Singularität, die maximal mit anderen Massenmorden und Genoziden, wie dem Holodomor oder der Ausrottung der Armenier im Osmanischen Reich verglichen werden sollten! Die schwächelnde politische Linke in Österreich mag aus diesen Vergleichen oft einen Teil ihrer Existenzberechtigung ziehen, das macht diese Vergleiche aber deshalb nicht richtiger.
Zu lange ist etwa berechtigte Kritik an islamistischen Parallelgesellschaften hierzulande mit dem NS-begründeten „Kampf gegen Rechts“ von einer linken Elite unterdrückt worden. Besonders kurios dabei ist, dass der grassierende Islamismus in seinen totalitären Vorstellungen durchaus genau jene Szenarien Realität werden lassen könnte, die in der politischen Linken heute als Schreckensszenarien im Falle einer rechten NS-Style-Machtübernahme gelten. Es ist daher essentiell, aus der Geschichte die richtigen Schlüsse zu ziehen und zu berücksichtigen, dass die Geschichte immer komplizierter ist, als sie auf ersten Blick erscheint.
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