Die UNO am Scheideweg im Jahr 2021: Quo vadis?

Die UNO ist ein Relikt des 2. Weltkrieges (gegründet 1945) und feierte kürzlich ihr 75-jähriges Jubileum. Viel Zeit also, um sich der Frage zu widmen: Funktioniert die UNO im Jahr 2021? Gegründet wurde sie ja von Idealisten und Multilateralisten, erlebte dann einen Großteil ihrer Existenz im Kalten Krieg und steht nun vor neuen Herausforderungen. Sowie die amerikanische und westliche Machtarchitektur schwindet, umso offensichtlicher werden die Schwächen der UNO. War diese doch lange ein humanitäres vor allem westliches Projekt abseits der autoriäteren Realitäten in Südamerika, Afrika und Asiens. Doch diese holen die UNO seit dem Ende des Kalten Krieges nun ein.

Nicht länger waren solche Regime in der sowjetischen oder amerikanischen dualen Machtarchitektur des Kalten Krieges fest verankert. Ein westlicher Deal mit Moskau war also nicht mehr für diese ehemaligen Vasallenstaaten bindend. Seit 1989 zersplittert die Welt vielmehr geopolitisch. Massaker und lange Bürgerkriege sind deshalb seitdem wieder vermehrt auf der internationalen Agenda. Darunter fallen der Genozid in Ruanda (1994), der lange Bürgerkrieg und Zerfall Jugoslawiens (1991-2001), der syrische (2011 -)und jemenitische Bürgerkrieg (2004 -), der Krieg gegen den Terror (2001 -), et cetera. Die Vereinten Nationen stünden bereit einzugreifen und schaffen es nicht. Obwohl die neuen Kontrahenten über keine Atomwaffenarsenale verfügen, sondern meist nur über Jeeps und Kalaschnikows. Die UNO konnte den Krieg um Berg Karabach nicht verhindern. Wie sie auch daran scheiterte die Türkei zu verurteilen, als diese Gebiete ihrer Nachbarländer militärisch besetzte und defacto annektierte.

Der Sicherheitsrat

Top down betrachtet ist natürlich DAS wichtigste Gremium der Vereinten Nationen der Sicherheitsrat. Das Gremium der 5 Siegermächte des Zweiten Weltkrieges plus 10 zusätzlichen auf zwei Jahre gewählten Ländern. Ein Vetorecht haben allerdings nur die 5 Siegermächte auf jede Entscheidung. Womit bereits eine Gegenstimme der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Russlands oder Chinas ausreicht, um eine Friedensinitiative zu Fall zu bringen. Russland und China haben dies im Nahen Osten erfolgreich geschafft und geopolitisch ihre Hand über lokale Autokraten gehalten.

Heute stellt sich der Sicherheitsrat deshalb als unfähig, zersplittert und uneinig dar. Die USA und andere Länder kürzten mittlerweile UN-Budgets, verlassen einzelne Institutionen und kündigen multilaterale Verträge. Der Multilateralismus ist seit vielen Jahren nun auf dem absteigenden Ast. Seit über 20 Jahren wird nun über die Reform des Sicherheitsrates diskutiert. Da geht es um die Abschaffung des Vetorechts, die Vergrößerung des Sicherheitsrates und die Aufnahme neuer potenter Mitglieder.

Brasilien ist die zentrale Macht Lateinamerikas, Afrika hat ebensowenig ein permanentes Mitglied wie Südamerika, Indien hat ein Milliardenvolk und in der EU geht schon lange nichts mehr ohne Deutschland. Ohne die 5 Veto-Mächte wird sich aber eine Abschaffung des Vetos nicht durchsetzen lassen. Mit dem Veto jedoch kann der Sicherheitsrat der Erhaltung des Friedens nicht gerecht werden. Die „Gruppe der Vier“ (Brasilien, Deutschland, Indien, Japan) pocht daher seit Jahren darauf selbst gemeinsam mit 2 afrikanischen Ländern (Südafrika + X) permanente Sitze mit den gleichen Privilegien zu bekommen. Daneben gibt es Vorschläge von Mittelmächten (Kanada, Italien, Pakistan, Mexiko, Spanien,…) die nicht permanenten Sitze von 10 auf 20 zu erhöhen.

Das ewige Tauziehen um einen Frieden in Syrien zeigt die Probleme der UNO auf, da ihre Institutionen einfach nicht die nötige Autorität entfalten können, um Verhandlungen zu erzwingen und den Konflikt endlich nach 9 Jahren zu beenden.

Pufferzone der Vereinten Nationen

Friedensmissionen

Mit der Zeit wuchs die Anzahl der Friedensmissionen der Vereinten Nationen immer mehr an. In vielen Krisengebieten sind aktuell Blauhelme stationiert, doch in den aktuellsten Krisenherden im Nahen Osten zeigt sich die limitierte Macht der UNO. Weder in Syrien, Libyen, Berg Karabach noch im Jemen oder im Irak sind Blauhelme stationiert. Das solche Peacekeeping- Missionen dringend notwendig sind, zeigt auch immer wieder der hohe Preis den UNO-Soldaten im Dienst bezahlen müssen. Am 13. Januar 2021 wurde etwa berichtet, dass in Mali 4 UNO-Soldaten im Kampf gegen Islamisten gefallen sind. Damit verzeichnet die UNO Mission MINUSMA zur Stabilisierung Malis seit Missionsbeginn 2013 bereits 230 Todesfälle. Insgesamt ist die UNO gerade in 13 Peacekeeping-Missionen weltweit in der Friedenssicherung aktiv. In folgenden Ländern sind aktuell UNO-Soldaten stationiert: Westsahara, Zentralafrikanische Republik, Mali, Demokratische Republik Kongo, Israel (Golan), Zypern, Libanon, Sudan, Kosovo, Südsudan, Indien, Pakistan. Einige UN-Beobachter findet man in den arabischen Nachbarländern Israels.

Kritische Berichte über Vergewaltigungen, Diebstähle und anderen kriminellen Verhaltens von einzelnen UN-Soldatenkontingenten in Afrika haben das lokale Image der UNO allerdings auch etwas in Mitleidenschaft gezogen. Immer wurden die UNO-Truppen ihrer Vorbildwirkung also auch nicht in den jeweiligen Krisengebieten nicht gerecht. Sanktionieren müssen dieses Verhalten allerdings die Truppensteller-Länder, der UNO sind dabei die Hände gebunden.

Positiv zu erwähnen sind in den vergangenen Jahren erfolgreich beendete Friedensmissionen in Liberia, Sierra Leone und der Elfenbeinküste. Dazu kommen 2020 erfolgreiche Verhandlungen über eine neue Friedensmission im Sudan (UNITAMS), die auf einem guten Weg ist. Diese soll im Sudan den Übergang zu Frieden und Demokratie für zunächst einmal ein Jahr (2021) unterstützen.

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UNFICYP-Posten in der Bufferzone zwischen Nordzypern und Zypern in Nikosia

Die UNO und die Frage der Menschenrechte

Im UN-Menschenrechtsrat sitzen insgesamt 47 Mitglieder, gewählt jeweils nach regionaler Zugehörigkeit. Ziel ist es die Menschenrechtssituation weltweit zu überwachen und eventuell Beobachter zu entsenden, um Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuprangern. Eine Aufgabe die nun dazu geführt hat, dass alle autokratischen Regime mit zweifelhafter Menschenrechtsagenda um einen Sitz in diesem Rat buhlten und er deshalb mittlerweile einen mehr als zweifelhaften Ruf hat.

Aktuelle Mitglieder des aktuell von der Österreicherin Elisabeth Tichy-Fisslberger geleiteten Rates, sind unter anderem: China, Pakistan, Usbekistan, Russland, Bolivien, Kuba, Libyen, Sudan, Indonesien, Venezuela, Eritrea, Somalia und die Philippinen. Das Who-ist-who jener Länder also, wo UN-Beobachter vielleicht den einen oder anderen Verstoß gegen Menschenrechte finden könnten. Weil man nicht länger als zwei Dreijahresperioden hintereinander im Rat sitzen kann, pausierte China lediglich ein Jahr (2020), um sich dann in der nächsten verfügbaren Dreijahreskohorte 2021-2023 wieder erneut in den Rat wählen zu lassen. Ähnliches gilt für Venezuela, dass 2020 trotz vielen Protesten von den anderen Ländern Lateinamerikas aus traditionellen Gründen als Mitglied nominiert wurde.

Abgesehen davon nutzt China UN-weit die Untergruppe der G77 (loser Zusammenschluss aller nichtwestlichen Entwicklungsländer) dazu Menschenrechte wo möglich weiter zu beschneiden, bzw. diese von der Agenda zu nehmen. Proportional zum Rückzug der USA schwindet der westliche Einfluss, der Menschenrechte damit weiter verwässern lässt.

black metal pipe near white concrete building during daytime
Abrüstungsmonument vor den Vereinten Nationen in New York

Die UNO & COVID-19

Seit dem weltweiten Ausbruch der Pandemie im März steht die Diplomatie der Vereinten Nationen still. Telefonate und E-Mails können die diplomatischen Verhandlungen nicht ersetzen und erschweren die komplizierte und langatmige Entscheidungsfindung in den Vereinten Nationen. Die World Health Organisation (WHO), eine Agentur der Vereinten Nationen, hat in der Krise anfangs ziemlich versagt. Aus politischer Rücksicht auf China steuerte die, gegenwärtig vom äthiopischen Politiker Tedros Adhanom Ghebreyesus geführte, Organisation einen streichelweichen Kurs, bis das Virus längst in alle Welt verbreitet war. Und es nur mehr galt Warnungen auszusprechen und Guidelines zu verteilen. Seine Strategie war zu Beginn der Epidemie laut der britischen BB die folgende:

His strategy is to coax China to transparency and international co-operation rather than criticising the government

https://www.bbc.com/news/world-africa-51720184

Er plante also China zu Transparenz und Kooperation zu überreden, indem er Kritik vermied. Und scheiterte damit grandios, denn mittlerweile behaupten einige chinesische Politiker, dass der Ursprung des Virus doch im Ausland läge und nicht in China. US-Präsident Trump kürzte der WHO dann die Mittel, in Rage über deren „Versagen“ bei der Limitierung des Ausbruchs. Was inmitten der größten globalen Pandemie seit 100 Jahren natürlich massiv kontraproduktiv war. Was aber auch nichts daran ändert, dass die WHO nicht gerade in der Krise glänzen konnte.

Die UNO und die neuen Nationalismen

Die UNO ist ein westliches Projekt, forciert von westlichem Denken aufgrund der Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs. Ergänzt natürlich um die sowjetisch-russische Perspektive. Sie wird nun mit dem Aufstieg von China, einem wachsenden Selbstbewusstsein von G20-Ländern wie der Türkei und Saudi Arabien und vielen anderen Nationalismen konfrontiert. Die Organisation tut sich dabei schwer mit diesen Herausforderungen umzugehen, sollte sie doch gleichzeitig Menschenrechte und Frieden hochhalten, während einige ihrer autoritären Mitgliedsländer hier eher kontraproduktiv agieren.

China untergräbt beispielsweise mit einer eigenen Entwicklungsbank, der Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) direkt die Initiativen der Vereinten Nationen. Die bisher über ihre Sonderorganisation die Weltbank die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung betreibt, die Projekte in der ganzen Welt finanziert und forciert. China deswegen politisch nicht zu entsprechen wird aber für die UNO immer schwieriger, schließlich ist das Land mittlerweile zweitgrößter Beitragszahler und fordert auch innerhalb der UNO immer mehr und einflussreichere Posten. Und China hat mit seiner Bevölkerungszahl und seinem wachsenden wirtschaftlichen Gewicht starke Argumente auf seiner Seite. Gleichzeitig sorgt der wachsende starke ideologische Einfluss Chinas wohl auch für eine ideologische Unterwanderung der Organisation, weil die KP Chinas ihre Vertreter anders als die meisten anderen Länder genau im Auge behält.

UNO-Hauptquartier in New York

Die Auswirkungen der Budgetkürzungen

Laut internen Berichten soll aktuell die Moral der Beschäftigten vor allem in der UN-Zentrale in New York relativ niedrig sein. Es wird gespart an allen Ecken und Enden und Neueinstellungen finden immer seltener statt. Berichte die den Autor dieses Artikels auch aus Wien erreicht haben, wo angeblich allerdings vorerst nur auf Neueinstellungen verzichtet wird. Besonders seit den verbreiteten (vor allem amerikanischen) Budgetkürzungen merken es die Bediensteten in New York direkt, was sich in mehr Aufgaben und gleichzeitig einer gefühlten Nivellierung ihrer Organisation niederschlägt. Was am Ende in seiner sinkenden Moral resultiert und in einem höheren Workload für jeden Mitarbeiter.

Zur finanziell schwierigen Lage addiert auch die schlechte Zahlungsmoral vieler Mitgliedsländer das Ihrige, was dazu führt das die UNO manche Beiträge an arme Entwicklungsländer momentan nicht oder nur verzögert leisten kann. Planungssicherheit und Reaktionsfähigkeiten der VN-Institutionen werden durch die laxe Zahlungsmoral massiv limitiert. Wie bei der Aufrechterhaltung der liberalen Werteordnung in den Vereinten Nationen, sind auch in Finanzfragen die USA essentiell und unersetzbar. Die Biden-Administration muss daher jetzt demonstrieren wie sie westliche Werte und Interessen in der UNO durch ein verstärktes Engagement gegenüber China, Russland und anderen Autokratien aufrecht erhalten kann.

Fazit

Die UNO hat seit Jahren also einige ernsthafte Schwächen, die ihre Effektivität als Mittler zwischen den Nationen der Welt massiv limitiert. So schnell wird die Organisation diese auch nicht überwinden können. Trotz aller Kritik ist die Organisation aber als weltweiter Zusammenschluss aller Staaten heute alternativlos. Ihr Status als Garant des Friedens mag schwächer werden, aber es gibt schlicht keine Alternativen, wenn es etwa um Koordination in Klimafragen, den Kampf gegen Kinderarmut, gegen Kriminalität et cetera geht. Ihre mangelnde Effektivität bezahlen dafür aber heute Millionen von Vertriebenen und Kriegsopfern in Afrika und Asien, die von der Organisation weniger Hilfe und Assistenz erhalten, als sie wohl in einem besseren politischen Klima zu leisten im Stande wäre.

Parallel zum gegenwärtigen multilateralen Bedeutungsverlust der UNO bräuchte es wohl eine bemerkenswerte Persönlichkeit als Generalsekretär um diese wachsenden strukturellen Schwächen zu kaschieren. Um frischen Wind und neue Initiativen auf den Weg zu bringen. Generalsekretär António Guterres konzedierte selbst eine Krise des Multilateralismus und versprach der Vollversammlung einen Plan zur Stärkung des Multilateralismus mit verstärkten Netzwerkcharakter zu entwickeln, der neben Staaten auch auf Dialog mit der Zivilgesellschaft setzt. Die UNO muss sich mit der Welt wandeln um relevant zu bleiben. Was bedeutet, dass sie Wege finden muss, um mit der autokratischen Welle in Afrika und Asien umzugehen und um am Machtanspruch Chinas und dem Gegensatz zu den USA nicht zu zerbrechen. Der Trend eigene Nationalismen über die transnationale Natur der Vereinten Nationen zu stellen macht der Organisation heute erheblich zu schaffen. Was alles aber nichts daran ändert, dass die Relevanz der UNO immer noch gegeben ist.

Links & Quellen

https://www.brinknews.com/the-un-security-council-isnt-working-will-it-ever-be-completely-reformed/

https://www.bbc.com/news/world-africa-51720184

https://www.usnews.com/news/world/articles/2021-01-13/three-un-peacekeepers-killed-six-wounded-in-mali-attack

https://peacekeeping.un.org/sites/default/files/unpeacekeeping-operationlist_1.pdf

https://www.dw.com/de/un-beschlie%C3%9Fen-friedensmission-f%C3%BCr-sudan/a-53688531