Corona-Virus Hotspot: Was ist bloß mit dem Westen los?

Die USA dominieren die weltweiten Covid-19 Ansteckungsraten seit April 2020 und nun wird die EU erneut mit der zweiten Welle das Epizentrum der Corona-Epidemie. Da stellt sich einem schon die Frage: Was ist eigentlich los in der „Ersten Welt“? Schläft der Westen bei diesem globalen „Systemtest“ vollkommen? Schummeln die anderen großen Länder, oder ist das westliche Krisenmanagement wirklich einfach katastrophal schlecht? Und was ist los mit den Bevölkerungen voller Verschwörungstheoretiker, Corona-Leugnern und „Covidioten“?

Statusbericht: Die Zweite Welle ist da

Die dramatische Entwicklung der Infektionszahlen in der nördlichen Hemisphäre in Europa und den USA in den letzten Wochen hat gezeigt, dass das Virus noch lange nicht besiegt ist. Die westlichen Bevölkerungen sind aber unmotiviert, undiszipliniert und müde von der Präventionsrhetorik. Das ändert aber nichts an der zweiten Welle in der EU und an der dritten Infektionswelle in den USA. Deutschland, Frankreich, Tschechien und Italien gegen in einen so genannten Teil-Lockdown. Die Auslöser sind vielschichtig: Waren es in Österreich vor allem Migranten und ein paar Touristen vom Balkan, sind es Studentenparties in Frankreich, frühe Öffnungen nach dem 1.Lockdown in den USA und generell das schlechte Management der Pandemie. Neben unzähligen weiteren Gründen.

Die Corona-Allianz der einstiegen Vorbilder der „smarten Sieben“ hat es bei dieser zweiten Welle besonders erwischt. Ehemalige globale Vorreiter wie Israel und Tschechien haben die größten Ansteckungsraten weltweit und stehen mittlerweile bei hunderttausenden Infizierten. Auch Dänemark und eben Österreich haben zu hohe Infektionsraten und müssen/mussten gegensteuern. Dabei geht es doch ganz anders: Neuseeland, Japan, Australien und viele Entwicklungsländer in Asien und Afrika zeigen dies vor!

Der globale Vergleich: Corona als Lackmustest

Glaubt man den globalen Statistiken stehen bevölkerungsreiche (Entwicklungs-)Länder wie Indonesien, Pakistan, Vietnam, China, Bangladesh, Japan, Äthiopien, Nigeria, Ägypten, Thailand VIEL BESSER da als der Westen. Manche Länder wie der Iran und die Türkei haben Schummelei mittlerweile zugegeben, was bedeutet das nicht alle Zahlen vergleichbar sind. Aber trotzdem haben die zuvor genannten Länder relativ wenige Fälle für ihre Bevölkerungsgröße. Unter den 15 Ländern mit den meisten Todesfällen finden sich hingegen die USA, GB, F, IT, ES und eng verbundene Länder mit europäischer Kultur und viel europäischstämmiger Bevölkerung wie Russland, Chile, Argentinien und Brasilien. Die westlichen Demokratien leiden also an höheren Todesraten, höheren Fallzahlen und enormen wirtschaftlichen Einbußen.

Stand 29.10.2020 finden sich bei den Top-20-Zuwachsraten weltweit 12 europäische Länder, die USA und 4 stark europäisch geprägte Länder Südamerikas (Brazilien, Argentinien, Mexico, Kolumbien). Auch absolut sind Europa und die USA total überrepräsentiert was Fallzahlen und Todesfälle betrifft. Kurz gesagt: Die Zahlen sind eine ziemliche Blamage für den Westen !

Ranking der Covid-19 Infektionen nach täglichen Zuwachsdaten;
Quelle: https://www.worldometers.info/coronavirus/

Was ist also los: Quo vadis Westen?

Was gibt es also für mögliche Erklärungen für unser schlechtes Abschneiden? Die Antworten sind freilich vielschichtig: Staat und Gesellschaft sind aber natürlich die Verantwortlichen!

Falsch verstandener Individualismus?

Die Renitenz von Teilen der europäischen Bevölkerung dies und jenseits des Atlantik zu diesen Maßnahmen resutiert vielleicht aus dem sonst so erfolgreichen Individualismus und der prinzipiellen links- wie rechtsextrem motivierten Ablehnung vieler obrigkeitlichen Anordnen in den letzten Jahrzehnten. Der Westen als hochgradig narzistische Gesellschaft mit Glücksversprechen krankt vielleicht heute schon an den Entzugserscheinungen durch geringste Einschränkungen! Das Virus beeinträchtigt den Fernurlaub, das Partywochenende, das Einkaufserlebnis. Da wird man zuerst beleidig, dann kritisch, und googelt schließlich im Internet und auf Facebook nach alternativen Erklärungsansätzen für diese Zumutungen. Abseits von den Mainstreammedien. Jenem Mainstream der Massenmedien, der sein Glaubwürdigkeit bei Teilen der Bevölkerung erfolgreich durch einseitige Berichterstattung zur Flüchtlingskrise oder zur politischen Lage längst selbst verspielt hat. Und das fehlende Vertrauenskapital in der Krise naturgemäß nicht mehr aufholen kann.

Missachtung staatlicher Anordungen

Während in anderen Teilen der Welt die Leute offensichtlich disziplinierter sind oder zumindest die Polizei rabiat die Anordnungen umsetzt, gilt schon die Maskenpflicht im Einzelhandel hierzulande und in den USA als Zumutung. Monatelange Lockdowns und Straßensperren in Afrika und anderen Teilen der „Dritten Welt“ hatten offenkundig einen positiveren Einfluss auf das Infektionsgeschehen. Im Westen wird immer noch gegen simple Maßnahmen mobilisiert und polemisiert, anstelle von den effektiven staatlichen Maßnahmen Südkoreas, Chinas und Taiwans zu lernen! Die EU, wie auch die US-Bundesregierung in Washington D.C. versagten dabei völlig in ihrer zentralen Koordinationsrolle. Dies erlaubte Ländern in Europa wie Kroatien die Zahlen länger künstlich niedrig zu halten und so „infektiösen Tourismus“ im Sommer 2020 zu ermöglichen, der Gäste und deren Herkunftsländer in falscher Sicherheit wiegte.

Polithickhack statt thematischem „Burgfrieden“

Gleiches gilt für die Politik und die Politiker im Allgemeinen. Falsche Sicherheit traf hier auf fehlende Kooperationsbereitschaft und mangelndes Vertrauen in der Bevölkerung. Die Opposition in vielen westlichen Ländern verfiel nach anfänglichem Schreckmoment und kurzem Burgfrieden wieder in die Tendenz in den politischen Schützengraben zu springen. Anstatt Maßnahmen mittelfristig (!) mitzutragen und nicht diese für kurzfristige Zustimmung zu hintertreiben! Die SPÖ in Österreich plädierte etwa den ganzen Sommer lang gegen zu strenge Einschränkungen. Und warf dann im Herbst genau der Regierung vor, diese zu spät verschärft zu haben. Österreich wartete kollektiv gespannt auf die Wienwahl, im Zuge derer die Zahlen dann so explodierten, ergriff aber aus vermutlich innenpolitischen Gründen nur wenige Gegenmaßnahmen in jener Zeit. So gewinnt man kein Vertrauen. Auch nicht durch unzählige Pressekonferenzen und immer neue Maßnahmen, anstatt eine langfristige Strategie bis Ende 2021 auszuarbeiten.

Die anderen österreichischen Oppositionsparteien wie FPÖ und NEOS tun sich ebenfalls nichts Gutes, wenn sie ständig die Maßnahmen der Regierung hart kritisieren. Wie etwa Beate Meinl-Reisinger erst kürzlich in der ZIB2. Sie erzielen damit zwar den Applaus der Kritiker von Regierung wie Coronamaßnahmen, untergraben aber eben auch die Effektivität einer unpolitischen Pandemiebekämpfung. Das Thema wird außerdem in zwei Jahren völlig gegessen und politisch belanglos sein. Was bringt es also der FPÖ Verschwörungstheorien ala „falsch-positive“ Tests zu kommunizieren (wie FPÖ-Chef Hofer im ORF-SOmmergespräch 2020)? Oder warum machen die NEOS mit feministischem Anstrich Druck die Schulen offen zu halten? Anstatt dies Experten zu überlassen. Damit macht man sich letztlich nur zum Mittäter der Covidioten.

In einem Jahr kräht nämlich vielleicht kein Hahn mehr danach, wenn dann allgemeines Aufräumen für neue „Roaring 20s“ angesagt ist. In anderen Ländern wird dies nicht anders sein als in Österreich. So hat US-Präsident Trump das Maskentragen völlig irrational politisiert und unattraktiv gemacht und damit die Pandemie wohl verschlimmert.

Das Präventionsparadoxon

Bei Infektionskrankheiten wie beim Impfen gibt es das gleiche Phänomen: Menschen verweigern die Maßnahmen, weil sie die Gefahr für gering halten. Dabei war diese nur gering, weil sich zuvor alle an die Schutzmaßnahmen gehalten hatten, oder die Epidemie rechtzeitig von staatlicher Ebene gestoppt wurde, bevor das Virus die Menschen persönlich erreichen konnte. Das führt dann zu übertriebenem Spott im Nachhinein über solche Aussagen der Verantwortlichen wie Bundeskanzer Sebastian Kurz:

Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist

Bundeskanzler Sebastian Kurz: Kleine Zeitung (30.März 2020)

Diese aus einer Präventionssicht (und im Angesicht eines unbekannten teilweise tödlichen Viruses) höchst sinnvolle warnende Aussage, wurde dann nach überstandener erster Welle ins Lächerliche gezogen. Es geht nämlich auch anders: Die USA haben etwa ihre ersten Erwartungen von um die 100.000 Toten mittlerweile mehr als verdreifachen müssen. Handelt man also präventiver wie die österreichische Bundesregierung, dann widerspricht „leider“ der Erfolg der Maßnahmen für viele Menschen ihrem Sinn. Ein „Was-wäre-gewesen-wenn“ Paradox wird erzeugt, dass sich so schwer beweisen lässt. Kein Land der Welt hat nämlich ohne Regeln und Einschränkungen das Virus über seine Bevölkerung drüber laufen lassen (auch Schweden nicht !). Mit rund einem Prozent an Fällen in Österreich sollte zumindest mittlerweile jeder Bewohner unseres Landes jemanden kennen der erkrankt ist.

Die Rolle der Verschwörungstheoretiker: Verfolgt uns unsere langweilige Wohlstandsgesellschaft?

Umfragen der Konrad Adenauer Stiftung haben etwa ergeben, dass rund 1/3 der Deutschen an „geheime Mächte“ glaubt. Also an die (jüdische) Weltverschwörung, die Macht der Milliardäre um Bill Gates, die Weltrevolution, QAnon et cetera. In Österreich ist das nicht viel anders. Es hat sich also seit dem Mittelalter bei den mitteleuropäischen Bevölkerungen anscheinend nicht viel verändert. Bricht eine Seuche aus, müssen Verschwörer und Juden als Schuldige her halten und man erwartet von verdächtigen Bevölkerungsschichten aus der Situation Profit zu schlagen. Dabei starben im Mittelalter die Juden ebenso wie die Fliegen an der Pest wie ihre christlichen Nachbarn und die heutigen Eliten sind ebenso negativ von Corona betroffen wie die breite Masse der Bevölkerung. Corona etwa begann ja überhaupt zuerst als „Seuche der Reichen„, die auf ihren globalen Tripps das Virus erst in ihre Herkunftsländer brachten (sofern das chinesische Wanderarbeiter etwa in Italien nicht für sie übernahmen).

Verschwörungstheorien sind absurde Erklärversuche für eigentlich normale Geschehnisse. So wird aus dem Kampf der europäischen Regierungen gegen das Virus auf einmal Merkels Versuch die Freiheitsrechte einzuschränken. Man koppelt also die Ratio (der Pandemie) als Erklärung des Phänomens der vorübergehenden (!) Freiheitseinschränkung von dieser ab. Was dann bleibt sind die Zumutungen (O-Ton Merkel) als wahrgenommene Einschränkung für die Bürger. Dabei hilft den Verschwörungstheoretikern das ein Virus eine abstrakte Sache ist, die man nicht direkt wahrnehmen kann. Kranke verschwinden ja in der Quarantäne oder im Krankenhaus. Man müsste sich also selbst infizieren, um es am eigenen Leib zu spüren. Dann kommt man zu so einer unsinnigen fatalen Einschätzung wie der Schlagersänger Michael Wendler:

Der „Wendler“ beendet wegen der „Corona-Vergehen der Bundesregierung“ seine Karriere

Die Grundprämissen (Verwaltungen und Regierungen haben gerne regulierenden Einfluss auf ihre Bürger) mögen ja stimmen, aber die Pandemie mit ihrem Gesundheitsrisiko und den wirtschaftlichen Auswirkungen rechtfertigt dieses Vorgehen eben prinzipiell.

Fazit

Sehr kritisch sollte man also das Management der Maßnahmen im Westen betrachten. Vor allem wenn arme Entwicklungsländer hier viel strengere und effektivere Maßnahmen ergreifen konnten und bessere Zahlen ausweisen, als der demokratische und reiche Westen. Fehler, übertriebene Maßnahmen et cetera dürfen natürlich passieren. Diese Maßnahmen müssen aber endlich auch nachhaltige Resultate zeigen! China zieht mit wirtschaftlicher Rekordgeschwindkeit an EU wie USA vorbei, kann seine Beschränkungen aufheben und der Westen mäandert von Infektionswelle zu Infektionswelle. So gewinnt man den Kampf der Systeme nicht. Chinas KP vermarktet den internen Erfolg ihres neuen Langzeitherrschers Xi Jingping schon lange offensiv. Chinas orwellschem Überwachungsstaat betont den Sieg über das Virus und eine rasche Erholung aus der Wirtschaftskrise. Wir im Westen operieren dagegen immer noch am offenen Covid-Herzen und diskutieren über Masken, Gesichtsschilde und Ausgangsbeschränkungen und Tourismus in Risikogebieten.

Zum staatlichen Versagen kommt dann das private Versagen eines ignoranten Teils der Bevölkerung! Die Verschwörungstheoretiker und Kritiker essentieller Maßnahmen wie der Maskenpflicht machen sich damit letztlich zu gefährlichen Idioten. Sie werden in der historischen Rückschau unrecht behalten und sie werden sich letztlich zu Ignoranten abgestempelt haben! Manchmal werden sie vom Präventionsparadoxon von ihrer eigenen gefährlichen Unbedarftheit geschützt. Sie profitieren, dass die verhasste Obrigkeit sie eben nicht unkontrolliert dem Virus aussetzt und das erspart ihnen so bewusst (für die Leugner unbewusst) potentielle negative Auswirkungen ohne eigenes Zutun.

Fasst man alles zusammen fehlt aufgrund des hohen Anteils ignoranter Menschen, ineffektiver Verwaltungen und schlechter Politiker die gesamtgesellschaftliche Disziplin im Westen, um die Pandemie wie Südkorea, China, Vietnam und weitere Entwicklungsländer im Griff zu behalten. Dazu kommt ein Staatsversagen im Vergleich zu ostasiatischen Ländern in der Pandemieprävention.

Quellen und weitere Links

Rafaela von Bredow: „Babys mit Kuhoren“. In: „Der Spiegel“ vom 24.10.2020: S. 114f.

https://www.worldometers.info/coronavirus/

https://www.kleinezeitung.at/politik/innenpolitik/5793215/Bundeskanzler-Sebastian-Kurz_Bald-wird-jeder-von-uns-jemanden

https://www.diepresse.com/5804867/kurz-und-die-corona-allianz-der-smarten-sieben