
In Österreich gibt es gerade wieder eine Debatte über die Neutralität, die von den NEOS ausgelöst worden ist. Diese erregt gerne die Gemüter und viele Menschen im Land fühlen sich schnell persönlich angegriffen, wenn es gegen ihr Verständnis von Neutralität geht. Österreich hat sich nämlich bequem im Gedanken der immerwährenden Neutralität eingerichtet und damit zwei verlorene Weltkriege verarbeitet. Die Idee von 1955: Künftig werde alles anders sein und Österreich werde allen Kriegen und Konflikten fern bleiben. Dabei ist den Österreichern aber entgangen, dass die Neutralität realpolitisch de facto (freilich nicht de jure) bereits in zwei Schritten abgeschafft worden ist. Eingeleitet wurde dieser Prozess mit der Volksabstimmung zum EU-Beitritt 1995, wo zwei Drittel der Menschen ihren Sanktus zum EU-Beitritt gaben. Mit dem EU-Beitritt ist Österreich einer engen politischen Union beigetreten, womit das Land politisch gesehen natürlich längst nicht mehr neutral ist. Die österreichische Gesellschaft für Europapolitik urteilt hierzu folgerichtig:
Aus rechtlicher Sicht bleibt von der Neutralität indes „herzlich wenig“ übrig, sobald die EU im Rahmen der der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) handelt.
Die Schweiz etwa ist weder Mitglied von EU und NATO aus genau diesem Grund: Weil die Schweizer es mit ihrer Neutralität als unvereinbar ansehen in so einem Bündnis zu sein. Die EU ist als Staatenunion aber sogar viel mehr als ein Bündnis. Der finale Schritt für die de facto Abschaffung der Neutralität war dann 2009 die Verabschiedung des EU-Beistandspaktes, der Österreich de facto auch seine militärische Neutralität gekostet hat. In diesem Artikel wollen wir nun diese Entscheidungen diskutieren und dabei den NEOS ein politisches Lob aussprechen: Sie sind in dieser Frage die einzig ehrlichen Politiker in Österreich! Der pinke Nationalratsabgeordnete Veit Dengler sagte in der „Presse“ dazu Folgendes:
Wir sind in der EU mit Beistandspflicht. Konkret bedeutet das: Wenn ein EU-Land angegriffen wird sind wir nicht neutral.
Veit Dengler, zitiert nach „Die Presse“ vom 09.03.2025: S.7
Nachdem Österreich die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU inklusive Russlandsanktionen mitträgt und die Beistandspflicht – freilich mit dem Irischen Vorbehalt – unterschrieben hat, kann man dieser These nur sehr schwer widersprechen. Wir wollen nun diskutieren warum das so ist!

Der EU Beitritt 1995
Abgesehen davon, dass Österreich weltanschaulich nie gesinnungsmäßig neutral war und sich immer politisch dem Westen zugehörig fühlte, endete die politische Neutralität mit dem EU-Beitritt 1995. Man kann schlicht nicht in einem Staatenbund mit 26 anderen Staaten Mitglied sein, der EU immer mehr Aufgaben übertragen und gleichzeitig neutral sein. Deshalb war damals auch die Zustimmung der Sowjetunion notwendig, weil es einer der vier Garantiemächte war, die 1955 den Staatsvertrag verabschiedet hatten. Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) erinnert sich an die Überzeugungsarbeit bei der 1988 bereits in den letzten Zügen liegenden Sowjetunion:
Wir mussten aufgrund des Staatsvertrags alle vier Alliierten abklappern. Das war nicht nur eine Frage der Courtoisie. Wir wollten auch auf Nummer sicher gehen, dass niemand sich übergangen fühlt und – was rechtlich möglich gewesen wäre – den Alliierten-Rat wieder einberuft und mit der Frage befasst. Es hat mich drei Tage Aufenthalt in Moskau gekostet, in wiederholten Gesprächen zu versichern: Wir hegen keine sinistren Absichten, sondern glauben, dass das für unsere Wirtschaft gut ist und dass wir als Teil des freien Europa dazugehören. Am Schluss hat sich Ryschkow beruhigt.
Die Schweiz hingegen hat sich im Sinne ihrer Neutralität, die 1955 Beispiel für Österreich war, weder NATO noch EU angeschlossen und demonstriert damit, wie ein wirklich neutraler Staat handelt. Österreich hingegen beteiligt sich im Rahmen der EU an den Russlandsanktionen, unterstützt die Ukraine und nimmt eine klare politische Position etwa im Ukrainekonflikt ein. Das steht teilweise im Konflikt zur Idee der Neutralität:
Im internationalen Kontext meint „Neutralität“ die Unparteilichkeit eines Staates im Falle gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen anderen Staaten. Ein neutraler Staat tritt nicht aktiv als Partei in einem bewaffneten Konflikt auf und leistet auch keine direkte oder indirekte militärische Unterstützung an eine der Konfliktparteien (z. B. Waffenlieferungen oder Truppentransporte).
https://www.parlament.gv.at/fachinfos/rlw/Was-macht-die-oesterreichische-Neutralitaet-aus
Österreich ist freilich nicht militärisch aktiv in der Ukraine. Nun kommt aber das große ABER: Die EU ist es im Ukrainekrieg aber schon und Österreich ist ein Teil der EU. Die Europäische Union versorgt die ukrainische Armee mit Krediten und Waffen und verkündet das auch auf ihrer Homepage ganz offen:
Die militärische Unterstützung für die Ukraine soll die Fähigkeiten und die Resilienz der ukrainischen Streitkräfte stärken und die Zivilbevölkerung vor der ungerechtfertigten und grundlosen militärischen Aggression Russlands schützen. Die EU ist sich in ihrer unverbrüchlichen Unterstützung für die Ukraine einig und wird der Ukraine und ihrer Bevölkerung weiterhin so lange wie nötig starke politische, finanzielle, wirtschaftliche, humanitäre, militärische und diplomatische Hilfe leisten.
https://www.consilium.europa.eu/de/policies/military-support-ukraine
EU-weit ist die Unterstützung für die Ukraine jedenfalls beachtlich: 49,2 Milliarden Euro leisten EU und EU-Staaten für die ukrainische Armee an Hilfszahlungen.

Man kann nun natürlich argumentieren, dass Österreichs Beitrag an die EU-Friedensfazilität genau nicht in Waffen für die Ukraine fließen würde, aber das ist in einem so großen Topf an Geldern wohl reine Augenauswischerei. Freilich können das Politiker in Österreich realpolitisch nicht offen einräumen. EU-Ministerin Karoline Edtstadler hat wohl deshalb eine Anfrage im Parlament dazu folgendermaßen beantwortet:
Der österreichische Beitragsanteil (zur Friedensfazilität) beträgt 2,79 %. Im Falle der Bereitstellung von Waffen und Munition bzw. sonstiger letaler Ausrüstung im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität enthält sich Österreich konstruktiv und leistet stattdessen einen zusätzlichen freiwilligen Beitrag zu nicht sensiblen bzw. nicht letalen Maßnahmen der Europäischen Friedensfazilität. Es fließt kein österreichischer Euro in letale Ausrüstung für die Ukraine.
https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/AB/14214/imfname_1566850.pdf

Der EU Beistandspakt
Österreich hat 2009 – mit dem Neutralitätsvorbehalt der so genannten „irischen Klausel“ – den militärischen Beistandspakt der EU unterzeichnet. Dabei verpflichtet sich Österreich zur Hilfe, aber nicht notwendigerweise zur militärischen Hilfe. Der EU-Rechtstext, der dabei von Bundeskanzler Faymann unterzeichnet wurde, lautet wie folgt:
Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.
Artikel 42 Absatz 7 EUV; https://dejure.org/gesetze/EUV/42.html
Wir sehen hier also, dass sich Österreich zuerst verpflichtet hat, mit „aller in unserer Macht stehender Hilfe und Unterstützung“ zu helfen. Der „besondere Charakter“ der Neutralität sei davon aber unberührt. Das ist ein gewisser Widerspruch in sich. Auflösen lässt er sich nur mit der Interpretation, dass Österreich nur logistisch, humanitär oder finanziell aushilft. Das macht es zwar nicht zu einer kämpfenden Partei, aber zu einer Partei, die einer kämpfenden Partei essentielles Material zur Verfügung stellt, das im Krieg ebenso wichtig ist wie Militärmaterial.
Realpolitisch betrachtet ist dieser Neutralitätsvorbehalt zudem wohl eine Ansammlung schöner Worte, die im Ernstfall nicht sonderlich relevant sein wird. Sollte die EU nämlich in einen Krieg mit Russland geraten, dann würde sich Österreich – Irische Klausel hin oder her – realpolitisch nur schwer den anderen EU-Staaten verweigern können. Wenn die EU nicht einmal im Kriegsfalle Zusammenhalt zeigt, dann wäre das nämlich realpolitisch der Anfang von ihrem Ende. Das sehen auch die Experten der österreichischen Gesellschaft für Europapolitik so:
Österreich kann sich schon aus politischen und strategischen Gründen nicht völlig heraushalten: Wer (im Ernstfall) etwas will (militärischen Beistand), muss bereit sein, etwas zu geben.
Gegenwärtig wäre es mit der irischen Klausel nämlich so, dass die EU-Länder Österreich (bis auf Irland und Malta) bei einem Angriff militärisch beistehen müssten. Umgekehrt müsste Österreich das aber nicht, wenn es sich auf die Neutralität beruft. Genau diese Absurdität würden im Kriegsfall dann die EU-Partner Österreich vorhalten und keine Bundesregierung würde sich hier letztlich verweigern können. Es gibt zudem auch dafür längst einen rot-weiß-roten Präzedenzfall: Österreich hat schon einmal Soldaten und militärisches Material geschickt, nämlich als Frankreich erstmals den EU-Beistandspakt eingefordert hat, nämlich nach den islamistischen Anschlägen 2015.
Österreich hat nach der französischen Ausrufung des Beistandsfalls aufgrund der Anschläge des „Islamischen Staats“ im November 2015 angekündigt, sich an der maritimen Mission „Sophia“ zu beteiligen,eine Hercules-Maschine für Lufttransporte im Rahmen der UN-Mission in Mali (MINUSMA) bereitgestellt, 15 Soldat*innen dorthin entsandt und das österreichische Kontingent bei der Ausbildungsmission der EU in Mali (EUTM Mali) vergrößert. Frankreich selbst hatte im Vorfeld um eine derartige Entlastung gebeten, um sich verstärkt dem Kampf gegen den „Islamischen Staat“ widmen zu können.
Der Vermittlermythos
In Österreich werden politisch immer noch gerne die Geschichten aus dem Kalten Krieg aufgewärmt, wo Österreich tatsächlich physisch zwischen den Blöcken stand und sich hier Amerikaner und Russen zweimal zu Gesprächen trafen. Chruschtschow etwa traf Kennedy 1961 in Wien, Jimmy Carter Leonid Breschnew 1979. Diese Rolle als Verhandlungsort von „Ost und West“ ist aber längst Geschichte! Schließlich hat sich Österreich 2022 den Russlandsanktionen angeschlossen und es steht auch nicht neutral zur „Achse der Diktatoren“ von China, Russland und dem Iran. Die Rolle Kreiskys als Vermittler kann man 1961 und 1979 zwar lobend erwähnen, allerdings bleibt auch viel Schatten: Österreich hat unter Kreisky unter „neutraler Flagge“ islamistische Terroristen und Diktatoren wie Gaddafi hofiert. Diese zweifelhafte Tradition setzte sich mit Putin bis zum Ukrainekrieg fort. Das ist vieles, aber kein diplomatisches Ruhmesblatt, auch wenn man an die Idee als „neutraler Boden“ immer noch gerne anknüpfen möchte:
Nehammer bot Trump Österreich als Ort für Verhandlungen an!
https://www.vol.at/nehammer-bot-trump-osterreich-als-ort-fur-verhandlungen-an/9079309
Die „neutralen“ Vermittlerstaaten 2025 sind aber längst andere und liegen auch nicht mehr in Europa. Sie sind wirklich weltanschaulich neutral, weil sie von beiden Seiten politisch wie wirtschaftlich profitieren wollen. Dazu zählt etwa die Türkei oder Saudi Arabien, die im Ukrainekrieg beide emsig vermitteln und sich dadurch eine diplomatische Aufwertung ihrer Staaten erhoffen. Prestigegewinn und ökonomischer Erfolg sind dabei das erklärte Ziel. Nehammers Ausflug zu Putin war dagegen eine eher peinliche Episode, die von Anfang an keine Chance auf Erfolg hatte. Dieser Besuch war vielmehr eher ein Propagandaerfolg für Putin in einer Zeit, wo seine Position in Russland angeschlagen war. Russlands Armee hatte 2022 nämlich große Niederlagen in der Ukraine hinnehmen müssen und befand sich auf dem Rückzug.
Fazit
Man kann also weiterhin der österreichischen Verfassung und den meisten Politikern folgen und den Glauben vertreten, dass Österreich ein neutrales Land ist. Gleichzeitig trägt Österreich aber die EU-Außenpolitik mit, die viele Milliarden an EU-Geldern an die ukrainische Armee fließen lässt. Die EU ist somit klar in diesen Konflikt verwickelt und wird deshalb von Russland auch mit Nadelstichen attackiert, wenn etwa Unterseekabel in der Ostsee zerstört werden oder Russland Sabotageakte verüben lässt. Österreich ist über die EU ein Teil des Ganzen, auch wenn das offiziell niemand eingestehen will! Als Mitglied einer politischen Union, die Staaten wie Russland sanktioniert, ist außerhalb von Europa wohl für die meisten Staaten klar, wo Österreich politisch steht.
Ebenso kann man natürlich die Auffassung vertreten, dass Österreich den EU-Beistandspakt mit dem Vorbehalt der „irischen Klausel“ unterschrieben hat, und dass es im EU-Kriegsfall militärisch beiseite stehen wird können. Realpolitisch gesehen ist die Sache aber wohl wieder eine ganz andere. Sollte die EU in einen Krieg schlittern, wird sich Österreich mit Irland und Malta – mehr neutrale EU-Staaten gibt es nicht mehr – nur schwer einer Mitwirkung verweigern können! In diesem Fall wäre die europäische Solidarität nämlich so groß, dass sich kein Land und keine politische Regierung diesem Sog entgegen stellen könnte!
Selbst wenn Österreich aber standhaft bliebe und seiner Beistandspflicht nur finanziell oder humanitär nachkäme, dann würde das den anderen EU-Ländern noch immer mehr Geld und Ressourcen für ihre Rüstung und den Krieg freimachen. Österreich wäre hier also auch als nichtmilitärische Partei nicht neutral, sondern es würde logistisch in der einen oder anderen Form natürlich die europäische Kriegspartei unterstützen. So hat Österreich ja schon 2015 mit anderen EU-Ländern Frankreich militärisch entlastet, um französische Soldaten freizumachen, die für den Krieg gegen den islamischen Staat gebraucht wurden! Die österreichische Neutralität exisitiert somit also noch de jure, de facto aber sieht die Sache schon etwas anders aus!
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